„Uchruut“, oder: Schweizer Ressentiments im O-Ton

Eigentlich wollte ich nur einen knappen Hinweis auf das Hörspiel «Uchruut» von 1985 schreiben, diesen heimlichen Klassiker des Dialekthörspiels, der nun vom Schweizer Radio wieder ausgegraben worden ist (woran ich sogar selber ein wenig mitschuldig bin). Jetzt ist doch was Längeres  draus geworden.

Die Nachbarn treffen sich reihum zum Grillieren. Thema sind die Ferien von Sonja und Klaus oder der Kartoffelsalat (mit und ohne Zwiebeln), das neue Auto („ein Japaner“), das Fensterputzen oder Cäsis Scheidung, vor allem aber und unentwegt: der Garten und dessen Pflege. Kein Wunder wird da der Lehrer, der ebenfalls im Quartier wohnt, aber seinen Garten wild wuchern lässt (oder zumindest nicht laufend trimmt) zum gemeinsamen Hassobjekt. Als eines Abends eine teure Rose (mit Namen „General Guisan“) im Blumenbeet fehlt, eskaliert der Gartenfetischismus. Was mit Drohungen und Mordfantasien anfängt, endet mit Hausfriedensbruch. Wutbürger mit Rasenmäher verteidigen das Reduit.

Ein einziges mal ist das Hörspiel gesendet worden, damals in den Achtzigerjahren, und mein ältester Bruder Thomas hat es auf Kassette aufgenommen. Es hat sich seither in unserer Familie zum Klassiker entwickelt. Es ist das Hörspiel, von dem ich jeden Satz auswendig rezitieren kann und das ist für einmal nicht nur eine Floskel, sondern buchstäblich wahr (Bekannte können das bestätigen). 

Ich kenne nichts, weder als Film, Buch oder Hörspiel, das so präzise Schweizer Biederchauvinismus, Bünzlitum, Einfamilienhausideologie, Alltagssexismus und Stammtischsprech porträtiert, einfach indem man den Figuren und ihrer Sprache ganz genau zuhört. Wie brilliant das ist, lässt sich mit einzelnen Zitaten kaum zeigen, denn statt in Punchlines und Pointen entsteht die Satire im gesamten Verlauf von Gesprächen, bei denen sich die Personen eigentlich nie zuhören, sondern immer nur auf die Gelegenheit warten, auch noch die eigene besserwissende Meinung zum Besten zu geben. Man soll mal nur am Anfang zuhören, wie da Alice noch rasch die Betten macht, ihr Mann Hans nochmal den Rasen mäht, damit nachher niemand „dumm schnörre“ kann und der zu früh eingetroffene Cäsi auf ein Bier spienzelt und wie da jede Äusserung nur dazu dient, passiv-aggressiv noch eins drauf zu geben. Zwischenmenschliche Kommunikation als Jasspartie voller Ressentiments. 


(Markus Kägi, Foto: CUNÉGONDE PETER)

Ich war lange überzeugt, dass dieses Hörspiel eigens im Schweizer Dialekt konzipiert gewesen sein musste, so genau fängt es die hiesigen Mentalitäten ein und war umso überraschter, dass das Stück vom Autor Fitzgerald Kusz ursprünglich auf deutsche Verhältnisse gemünzt war. Das macht die Leistung Markus Kägis, Übersetzer und Regisseur der Schweizerfassung, umso beeindruckender. Dialektdialoge schreiben zu können, gehört bekanntlich mit zum Schwierigsten. Das merken wir jedes mal, wenn uns schon kleinste Formulierung in einem Schweizer Mundartfilm peinlich scharf auffallen, die offenbar Hochdeutsch im Treatment standen und dann in Dialekt übersetzt wurden. Wenn nach Drehbuch Mundart gesprochen wird herrscht allzu oft #cringealarm.

Markus Kägi müsste man allen als Scriptconsultant verschreiben, wäre er nicht schon 1990 an AIDS verstorben. Leider nur gerade 35 Jahre alt ist Kägi geworden. Als schwuler Mann in der Schweiz der Siebziger und Achtzigerjahre hat er selber zu eben jenen gehört, die von der Bünzlinachbarschaft in «Uchruut» nur ausgegrenzt würden. Vielleicht hat er deshalb so ein gutes Gehör gehabt, um deren gemeinsamen, gemeinen Sound abzulauschen, sozusagen über den Gartenzaun hinweg.

«Uchruut» steht bis am 11.11.2020 zum Nachhören und als Download zur Verfügung:
https://www.srf.ch/sendungen/hoerspiel/uchruut-von-fitzgerald-kusz