Neue Zürcher Zeitung, 31.3.2014, S. 17:
Er machte Experimentalkino im Gewand des Genrefilms: Gerade einmal eine Handvoll Filme hat Sergio Leone gedreht und damit doch das Kino revolutioniert. Nun sind seine furiosen Film-Opern im Filmpodium zu sehen.
Die Leinwand ganz in Rot, wie blutüberströmt, darauf ein weisser Fleck, flimmernd und flackernd – eine Wunde im Bild. So setzt der Vorspann zu Sergio Leones «A Fistful of Dollars» ein und bringt damit bereits ein ganzes Œuvre poetisch abstrahiert auf den Punkt.
Der Fleck im Bild steht für das Einschussloch im Körper des Cowboys, für die sengende Sonne über der Prärie, aber auch für die Lampe des Projektors, die sich durch den Filmstreifen zu fressen droht. Dann wird der Fleck zum Schemen, zur stilisierten Silhouette von Pferden und Menschen in zuckender Bewegung, so wie auf den ruckelnden Bildern der Wundertrommel, jenes Spielzeugs, mit welchem sich einst die Erfindung der Kinematografie ankündigte.
Kamera als Waffe
Bei Leone, so macht bereits der Vorspann in wenigen Einzelbildern klar, sind Form und Inhalt, Medientechnik und Narration voneinander nicht zu trennen. Die Gewalt, von der seine Western handeln und mit der sich seine Figuren, die schmierigen Desperados und die davon nur graduell zu unterscheidenden Helden, gegenseitig abmurksen, ist auch die Gewalt des Kinoapparats, welcher Bilder schiesst wie Cowboys Kojoten.
Wenn im Showdown von «A Fistful of Dollars» Leone zwischen Grossaufnahmen und Panorama-Ansichten hin und her schneidet und rasant in die verschwitzten Gesichter der Kontrahenten hineinzoomt, wird die Kamera zur Waffe. Die aufeinanderprallenden Bilder nehmen vorweg, was die Kugeln mit den Leibern anstellen werden. Wir, die Zuschauer, gehören zu den Verwundeten.
So ist es nicht recht zutreffend, Sergio Leone als Gegenfigur zu präsentieren zum italienischen Kunstkino jener Zeit, als Antipode zu Antonioni, Pasolini oder Fellini. Leones Filme sind mindestens so sehr Avantgarde wie jene. Einzig das bildungsbürgerliche Publikum hat sich in seinem Dünkel allzu lange davon verwirren lassen, dass Leones komplexe Überlegungen zum Kino als Kunst nicht mit verquältem Tiefsinn daherkommen, sondern mit lautem Revolverknallen und spritzendem Blut.
Gut möglich, dass Leone sein Faible für den extremen Ausdruck von seinen Eltern geerbt hat: Mutter und Vater waren Schauspieler in der Stummfilmära, der Vater schliesslich auch Regisseur. Tatsächlich macht es den Anschein, als hätte sich der Sohn die für den Stummfilm so typischen Stilisierungen gänzlich anverwandelt, um sie dann in seinen Filmen noch zu potenzieren. In den Studios der Cinecittà der fünfziger Jahre lernt er als Assistent bei amerikanischen Monumentalfilmen wie «Helen of Troy» oder «Ben Hur», wie man bigger than life dreht, ehe er 1961 mit dem Monumentalspektakel «Il Colosso di Rodi» schliesslich sein Debüt abliefert. Danach wagt er sich an den Western, jenes Genre, das von Stilisierungen lebt wie kein anderes.
Rohe Bildgewalt
Pathosformeln, so hat der Kunsthistoriker Aby Warburg jene zu ikonischen Bildern geronnenen Affektdarstellungen genannt, welche durch die gesamte Kunstgeschichte hindurch immer wiederkehren. Und aus Pathosformeln sind Leones Western gemacht: die zugekniffenen Augen des Revolvermannes; der Zigarillo festgebissen im Mundwinkel; die qualvoll gereckten Hälse von Lynch-Opfern und deren auf der Spitze stehenden Füsse, die verzweifelt Halt suchen.
Unentwegt wiederholt Leone solche Pathosformeln des Leidens und der Gewalt, wiederholt sie im einzelnen Film, aber auch im Verlauf seines Werkes, um sie zu immer noch potenteren Szenen zu destillieren. Wenn in «For a Few Dollars More» Kopfgeldjäger und Schurke im Steinkreis zum Duell antreten, kehrt die Situation in «The Good, the Bad and the Ugly» wieder, nur dass der Kreis noch grösser ist und es nicht mehr zwei, sondern drei Kontrahenten sind.
Und immer dabei, als weitere Potenzierung, der grandiose Sound Ennio Morricones, der für alle Filme Leones die Musik geschrieben hat. «Horse Opera» haben amerikanische Kritiker die Italo-Western despektierlich genannt, zugleich irritiert und eifersüchtig, dass ausgerechnet in Italien das amerikanischste aller Genres seine Apotheose finden sollte.
Doch der Hinweis auf die Oper ist treffend. So wie die Oper vor maximaler Theatralik nicht zurückschreckt, sondern diese mit aller Aufbietung von orchestraler Wucht immer noch verstärken will, so sind auch Leones Filme Opern des Kinos, wo Arien von Pistolen gesungen werden oder von der Mundharmonika des stummen Mannes aus «Once Upon a Time in the West». Es sind dies Filme, die zu zerspringen scheinen in ihrem Exzess der Bilder und Töne, die explodieren, so wie die mit kurzer Lunte abgebrannten Dynamitstangen im Film «Duck, you Sucker».
Am wahnwitzigen Höhepunkt von «The Good, the Bad and the Ugly» sehen wir zu, wie der gierige Eli Wallach auf der Suche nach dem versteckten Gold über ein endloses Gräberfeld springt. Immer wilder rast der Verzweifelte zwischen den Kreuzen dahin und reisst die Kamera mit, bis der Hintergrund verschwimmt zu einem einzigen Farbstrom. Und wir sehen zu, umgehauen von der schieren Wucht des Mediums. Im Taumel von Leones Bildern öffnet das Kino seine Deckung und zeigt sich uns als das, was es letztlich ist: nichts als kinetische Energie, rohe Gewalt, die uns ins Auge schiesst.
© Johannes Binotto
Zürich, Filmpodium (Nüschelerstr. 11), 1. 4. bis 15. 5.