Neue Zürcher Zeitung, 28.04.10, S. 21 ///
«Est-ce que les femmes sont magiques?», so fragt der Schauspieler Alphonse in François Truffauts «La nuit américaine» zwischen zwei Aufnahmen unvermittelt einen Filmtechniker. Die Frage ist natürlich eine rhetorische. Selbstverständlich sind die Frauen magisch und bei Truffaut sowieso. Dass man diese Liebeserklärung an die Frauen ausgerechnet in einem Film findet, der die Leidenschaft fürs Kino zum Thema hat, ist dabei kein Zufall: Cinéphilie und Erotomanie gehören zusammen. «Traurig ohne Ende jeder Film ohne Frauen!», so klagte Truffaut einmal. Er hatte sich diese Warnung seit je zu Herzen genommen. Bereits der Kurzfilm «Les Mistons» von 1958, sein erster noch erhaltener Film, inszeniert das fatale Begehren von fünf Buben für eine junge Frau.
Auch Jean-Luc Godard, Regiekollege und Truffauts Freund aus Kritikertagen, wusste nur zu gut um die Wirkung von Frauen auf der Leinwand: «Für einen Film braucht es nicht mehr als ein Mädchen und einen Revolver», und sein erster Spielfilm, «A bout de souffle», führte es vor. Es ist diese gemeinsame Leidenschaft der beiden Regisseure für Frauenfiguren, welcher das Programmkino Xenix nun in einer faszinierenden Filmreihe nachgeht. Doch so zwingend dieser Quervergleich zwischen Godard und Truffaut auch ist, stellt er doch zugleich eine Provokation dar. Denn es war nicht zuletzt der Umgang mit Frauen vor und hinter der Kamera, worüber es zwischen den beiden zum Bruch kam. Am Schluss eines Briefs aus dem Frühsommer 1973, in welchem Truffaut den Kollegen mit drastischen Worten angreift, findet sich das vielsagende Zitat aus Georges Bernanos‘ «Tagebuch eines Landpfarrers»: «Wenn ich wie Du das Gelübde der Priesterweihe gebrochen hätte, dann zöge ich es vor, dass es aus Liebe zu einer Frau geschehen wäre statt wegen dem, was Du Deine geistige Entwicklung nennst.» Die Liebe so wirft Truffaut dem einstigen Freund vor ist Godards intellektuellem Narzissmus gewichen, von der Subversion ist nur noch Kalkulation geblieben.
Das liesse sich gerade auch an Godards Frauenfiguren zeigen. Zu Beginn von «Le Mépris» lässt die nackte Brigitte Bardot von ihrem Mann jede Körperstelle beurteilen: Füsse, Knöchel, Knie, Schenkel, Brüste, Schultern, Gesicht, Mund, Nase, Augen, Ohren. Da der Gatte alles mag, zieht sie die irrtümliche Bilanz: «Also liebst du mich total.» Godard kommentiert mit dieser Szene natürlich auch die Impotenz der Kamera: Der fetischistische Schlüssellochblick des Objektivs sieht nur Partialobjekte. Doch die Frau ist mehr als ihre Einzelteile. Godard analysiert das und macht es trotzdem: aus der Frau ein Objekt schön und starr, wie die antiken Statuen aus jener anderen berühmten Szene des Films. Kaum etwas ist hier mehr übrig von jener Verliebtheit der Kamera, wie man sie noch in «Vivre sa vie», Godards grandioser Liebeserklärung an seine Gattin Anna Karina, bewundern konnte.
Auch bei Truffaut werden die Frauen mit Statuen verglichen, wie etwa Jeanne Moreau am Anfang von «Jules et Jim». Indem das Filmbild unvermittelt einfriert, soll auch die Frau stillgestellt werden. Doch sie wird sich nicht bändigen lassen. Und wenn in der todtraurigen Szene aus «Domicile conjugal» die Frau ihren untreuen Ehemann im Kostüm einer japanischen Geisha empfängt, so nicht, um sich dessen Phantasien zu fügen, sondern, um diese zu entlarven.
Gegen solch klarsichtige Frauen nehmen sich die Männer bei Truffaut oft als Kindsköpfe aus. Gleich in drei Filmen hantieren die Männer bei der Arbeit mit Miniaturschiffen; sie färben Blumen im Hinterhof oder spielen Detektiv. Die männliche Lust ist eine kindlich-perverse: Der Maler in «La mariée était en noir» hat in seinem Badezimmer einen Teppich aus Schaumstoffbrüsten liegen. Und so sollte man wohl auch die Erotomanie der Titelfigur in «L’homme qui aimait les femmes» nicht über Gebühr ernst nehmen. Bei aller Zuneigung Truffauts für seine Hauptfigur fehlt es doch nicht an ironischen Brechungen: Der Don Juan ist Ingenieur, der mit Modellflugzeugen spielt.
Unter Filmkritikern scheint es ausgemacht, dass in Godard der innovative Revolutionär, in Truffaut indes nur der talentierte Handwerker zu sehen sei. Der Blick auf die Frauenfiguren macht solche Zuteilungen fragwürdig. Auch wenn auf allen seinen Filmbildern Avantgarde mit dicken Lettern gestempelt steht, so renitente Frauen wie bei Truffaut findet man bei Godard keine. Die kriminelle Protagonistin aus Truffauts notorisch übergangenem «Une belle fille comme moi» (der leider auch in der Xenix-Reihe fehlt) braucht keinen Mann, der ihr die Schönheit ihrer Knie bestätigt. Die Frauen bei Truffaut sind sogar in Sachen Cinephilie das stärkere Geschlecht. Wie sagt doch das Scriptgirl in «La nuit américaine» resolut: «Ich würde jederzeit einen Typen für einen Film verlassen, doch niemals einen Film wegen eines Typen.»