Noch mal von vorn: Zur Serie „Crazy Ex-Girlfriend“

Filmbulletin #3 (Mai 2017), S. 48-49 ///

Ab der zweiten Season beginnt die Serie „Crazy Ex-Girlfriend“ mit einer Tanznummer als Vorspann, in der ein Trupp von Tänzerinnen – alle in den gleichen kurzen Röckchen und mit übergrossen Karton-Herzen auf ihrem Rücken – sich um die Protagonistin der Serie, Rebecca Bunch, scharen. Am Ende der Nummer drapieren die Tänzerinnen sich so, dass die Herzen auf ihrem Rücken sich zu einem Portrait von Josh Chang zusammenfügen, jenes Mannes, in den Rebecca so unsterblich verliebt ist. Dann bricht durch dieses Portrait Rebeccas eigenes Gesicht hindurch, beseelt und breit grinsend. Doch bleibt die Kamera allzu lange auf Rebecca, so dass sich ihre Begeisterung alsbald als schierer Irrsinn entpuppt. Im Verstoss gegen das Timing besteht genau die Pointe nicht nur dieser Sequenz, sondern der ganzen Serie: das Lustige ist vom Beängstigenden höchstens zeitlich getrennt. Wenn man nur lange genug drauf bleibt, entlarvt sich Komödiantisches unweigerlich als Grauen.

Natürlich ist dieser Vorspann ein direktes Zitat jener berühmten Choreographien, die Busby Berkeley für die Hollywood-Musicals der Dreissiger Jahre eingerichtet hat, in denen der einstige Drill Sergeant Tänzerinnen zu riesigen Ornamenten arrangierte. Insbesondere die surrealistische Traumnummer „I Only Have Eyes for Your“ aus Berkeleys Film „Dames“, in welcher sich aus den Kostümen der Tänzerinnen ein Portrait der Hauptdarstellerin Ruby Keeler zusammensetzt und durch welches Keeler dann selbst wieder hervortritt, diente hier offenkundig als Vorlage. Das wäre hübsch anzusehen, aber auch einigermassen schal, würde sich dieses Zitat nicht sogleich auch als hintersinniger Kommentar entpuppen. Denn wer sich daran erinnert, dass es bei Busby Berkeley das Portrait der Tänzerin selbst war, durch deren Portrait sie hindurchdringt, versteht, dass es auch in „Crazy Ex-Girlfriend“ nur scheinbar um den geliebten Mann, in Wahrheit aber egomanisch nur um Rebecca geht. „Es ist euch schon klar, dass ihr alle gar nicht existiert“ sagt diese denn auch am Schluss der Episode bei einer Reprise des Vorspanns zu all den Tänzerinnen um sie herum. Bei Busby Berkeley hatten in dessen „Parades of Faces“ die Starlets immerhin noch für einen kurzen Moment je ihre eigene Grossaufnahme gekriegt. Für Rebecca Bunch liegt nicht einmal das drin. Vielmehr sagt sie zu ihren Tänzerinnen: „Ihr seid nur in meinem Kopf und ich kann Euch einfach verschwinden lassen, wie es mir beliebt“ (was einer besonders Aufmüpfigen denn auch prompt passiert) um dann den Befehl auszugeben: „Okay, alles nochmal von vorn!“ Das ist ebenso clever selbstreflexiv wie unmittelbar witzig. Bodenlos abgründig ist es noch dazu.

„Crazy Ex-Girlfriend“ erzählt von der ebenso erfolgreichen wie depressiven Anwältin Rebecca, die eines trüben Tages in Manhattan ihrem Teenager-Schwarm Josh begegnet und sich kurzerhand entschliesst, diesem ins sonnig-kalifornische Kaff West Covina zu folgen, fest entschlossen, die Liebe von einst doch noch zu verwirklichen und zwar gegen alle Widerstände der Realität. Es ist eben diese Realitätsverweigerung, die das Musical für die Serie zum Genre der Wahl macht. So wie man im Musical bekanntlich in Tanz und Gesang ausbricht, wenn die Wirklichkeit zu überwältigend wird, singt sich auch Rebecca die Welt zurecht. Etwa wenn sie sich im „Sexy Getting Ready Song“ ausmalt, wie sie sich schön macht oder in „I Give Good Parent“ davon rapt, wie sie beim Thanksgiving-Essen die Eltern des Angebeteten für sich einnimmt. Dabei ist freilich die Selbstdemontage dieser musikalischen Fantasie-Szenarien immer schon in diese eingebaut – daher rührt ihr komischer Effekt. „Je suis garbage“ singt an einer Stelle Rebecca als französisches Chanson und der schönste Ohrwurm der Serie trägt den Titel „It was a Shit Show“. Rachel Bloom, die Hauptdarstellerin und Schöpferin der Serie und ihr Team an Mitspielern verstehen es perfekt die verschiedenen Sparten, von R’n’B bis Heavy Metal und Cool Jazz bis Country mitsamt derer Text-Tropen und Inszenierungsstilen zu imitieren, derart präzise überzeichnend, dass die Verballhornung selbst sich als noch virtuoser entpuppt als das, was sie auf die Schippe nimmt. Die Parodie setzt ein Mass an Kenntnis voraus, die sogleich auch die aufrichtige Liebe zum Parodierten beweist. So geht es denn auch der Serie offensichtlich um mehr, als um jenes bloss oberflächliche Pastiche, welches jüngst der ebenso geistlose wie unpräzise „La La Land“ seinem Publikum als echtes Gefühl hatte andrehen wollen. Da ist jede Minute von „Crazy Ex-Girlfriend“ aufrichtiger, als dort der ganze Film. In all ihrer Ironie meint es die Serie tatsächlich ernst mit ihrer Hinwendung zum Musical, unterzieht das Genre aber gerade deswegen einer so radikalen Kritik. So macht uns diese Serie nämlich nachträglich klar, was im Musical eigentlich immer schon Sache war. Die Überwindung des Alltäglichen, für die wir die Musicals so lieben, hatte schon immer etwas aggressiv Zerstörerisches und Narzissmus war immer deren eigentlicher Motor. Wenn etwa der von seiner Geliebten verlassene Gene Kelly am Ende von Vincente Minnellis „An American in Paris“ alleine durch die Bildwelten der französischen Impressionisten tanzt, ist er nur scheinbar verzweifelt, in Wahrheit aber am Ziel seiner Träume. Was kann es Schöneres geben, als diesen furiosen Tanz durch die eigenen Fantasien. Das darauf folgende Happy End zu zweit macht im Vergleich dazu deutlich weniger Spass. Kein Wunder blendet da der Film sofort ab. Exakt so will auch Rebecca in „Crazy Ex-Girlfriend“ sich die Liebe lieber im eigenen Kopf ausmalen, statt sie tatsächlich mit jemandem versuchen. Statt in den anderen, ist man bloss in die eigene Verliebtheit verliebt. Droht hingegen das Gegenüber sich allzu sehr selbst zu behaupten, muss es verschlungen werden. Die angebliche Romantik ist eigentlich Zerstörungslust, so wie die Verschmelzung der Liebenden im Tanz, wie es uns Ginger Rogers und Fred Astaire einst vorgeführt haben, eigentlich nur eine besonders elegante Form jener Auflösung im Anorganischen ist, welche Freud als Todestrieb bezeichnet.
In seinem Fernseh-Gespräch „Abécédaire“ sagt Gilles Deleuze über Vincente Minnellis Filme: „Minnelli hatte eine echte Idee. Er stellt eine aussergewöhnliche Frage: Was bedeutet es, im Traum eines anderen gefangen zu sein? Das reicht vom Komischen, bis zum Tragischen, bis zum Grauenvollen. Gefangen zu sein im Traum von jemandem. Vielleicht ist das der Horror in seinem reinsten Zustand.“ Das könnte als Formel für das Musical an sich gelten und für „Crazy Ex-Girlfriend“ sowieso.
Es bedeutet aber auch, dass Personen-Entwicklung hier eigentlich gar nicht vorgesehen ist. Einer der sich wiederholenden running gags von „Crazy Ex-Girlfriend“ sind denn auch die Treffen Rebeccas mit ihrer Psychoanalytikerin, die immer nur auf Gesprächs-Verweigerung hinauslaufen. Und wenn etwas von Rebecca begeistert als therapeutischer Durchbruch gefeiert wird, war es wieder nur etwas, was sie sich selber ausgemalt hat. Analyse-resistent wie jener andere Seriencharakter und Serientäter Tony Soprano, wird auch bei Rebecca Bunch der Analytikerin dereinst nichts anderes übrig bleiben, als abzubrechen, was sich ohnehin nur ziellos im Kreise dreht. Auch das macht „Crazy Ex-Girlfriend“ zu einer so interessanten Serie: dass sie die zirkuläre Struktur des Serienformats nicht zu unterschlagen versucht, sondern im Gegenteil zu ihrem eigentlichen Thema macht. Während man aktuell gerne jene Fernsehshows feiert, die eigentlich zehnstündige Filme sind, die man bloss der Konsumierbarkeit wegen in ein Dutzend Episoden aufgeschnitten hat, ist „Crazy Ex-Girlfriend“ gar nicht anders als in Form einer Serie denkbar. Der grosse dramaturgische Bogen, für den zeitgenössisches Quality TV so gerne gelobt wird, soll hier gerade unterlaufen werden, mit tragikomischem Effekt: Rebecca Bunch will sich gar nicht entwickeln, sondern so bleiben, wie sie sich träumt. Statt vorwärts drängt es sie von Anfang zurück in jenen Teenager-Zustand, von dem sie nachträglich glaubt, sie sei damals glücklich gewesen. Make My Feelings Great Again! Das ist ein gewitzter Kommentar zum egozentrischen Zeitgeist und dazu, warum das Genre des Musicals so gut in unsere Gegernwart und ins Serienformat passt. Seien es die aufgereihten Leiber in den Ornamenten Busby Berkeleys oder die aus früheren Shows rezyklierten Songs in „Singin’ in the Rain“ – das Musicals war selber schon immer seriell strukturiert und auf Repetition ausgelegt. Die einzigartigen Gefühle, die sie angeblich zelebrieren, sind in Wahrheit Bildungen eines Wiederholungszwangs. So lacht, wer sich über die Absurditäten von „Crazy Ex-Girlfriend“ amüsiert, letztlich auch über sich selbst und über die eigene, abgründige Serienlust. Denn wie Rebecca Bunch in ihrem Kopftheater klicken auch wir statt weg, viel lieber zur nächste Folge. Okay, nochmal von vorn!