All over, again. Die Endzeit im Film

Stadtkino Basel Programmheft (Januar 2013) ///

«Mir kam ein Traum – es war nicht ganz ein Traum. / Die helle Sonne war verglüht und die Sterne / wanderten dunkelnd in dem ew’gen Raum, / weglos und ohne Strahl und die eisige Erde / schwang blind und schwarz in mondesleerer Luft» – so beginnt Lord Byrons Gedicht «Darkness». Doch die letzten Bewohner dieser finsteren Erde zünden Feuer an, setzen schliesslich alles, ihre Paläste und Häuser und die Wälder in Brand, nur um im Feuerschein sich noch ein letztes Mal ins schreckliche Antlitz zu schauen und schreiend vor Angst zu sterben ob des Anblicks, der sich ihnen bietet: Hunde, die ihre eigenen Herren zerreissen, und ausgehungerte Menschen, wie sie über Leichen herfallen. Danach regiert endgültig die ewige Schwärze: «Darkness … was the Universe.»

Die Apokalypse als totale Auslöschung bildet zwangsläufig auch die ultimative Grenze unserer Imagination. Bis hierhin lässt sich denken und nicht weiter. Was für ein Bild soll man sich machen von jenem Moment, da alles entschwindet und somit auch die Grundlagen unserer Vorstellungskraft selbst? Doch ist es gerade diese Unmöglichkeit, sich das absolute Ende wirklich zu imaginieren, welche die Fantasie so reizt. An der Schwelle zum bodenlosen Nichts, so scheint es, flackern die Bilder besonders grell. Das gilt gerade auch für das Medium Film, dessen Wesen sich schon in Byrons Gedicht andeutet: Wenn die letzten Menschen im Dunkeln Feuer entfachen, verwandeln sie die Zerstörung in ein Lichtspiel. Was sie da machen, ist eigentlich Kino reinster Form – die Apokalypse verwandelt sich in ‹cinéma pur›. So ist es denn auch sinnig, wenn sich Regisseure in filmischen Visionen des Weltuntergangs immer wieder auf die fundamentalen Eigenschaften ihres Mediums besinnen. Godfrey Reggios Koyaanisqatsi etwa kommt ganz ohne Schauspieler und ohne ein einziges gesprochenes Wort aus. Filmbild und Musik allein reichen, um doch nicht weniger als die ganze Geschichte der Welt zu zeigen, von ihrem Erwachen in einsamer Schönheit, ihrer Vergewaltigung, Beschleunigung und ihren Krisen bis zu dem Moment, da der Mensch sie in seinem Wahn endgültig und unrettbar in die Luft sprengt. Es ist, als sei es dem Regisseur gelungen, seine Kamera an den unmöglichen Platz zu rücken, von dem aus das Universum sich selbst betrachtet – absolutes Kino, gefilmt aus der Perspektive der Ewigkeit, ohne Grenzen von Raum und Zeit. Das Kino der Apokalypse will nicht nur inhaltlich das Ende schildern, es will auch formal bis zum Letzten gehen. Wie in den überwältigenden Tableaus von Roy Andersons Songs From the Second Floor, die das allmähliche Verenden einer verzweifelten Menschheit aufzeichnen. In Einstellungen, die wie Gemälde aussehen, scheint das bewegte Bild des Films einzufrieren; das Kino selbst verfällt in Leichenstarre.

Oft aber zeugen die Filme gerade in ihrer Schilderung des Untergangs noch mal von einer überbordenden Lebendigkeit: etwa in der Parforce-Leistung von Vincent Price, der in The Last Man on Earth als einziger Überlebender einer globalen Seuche fast alleine einen ganzen Film trägt, im bizarren, absurden Humor von Richard Lesters The Bed Sitting Room oder sogar in der schieren Lust am Spektakel wie in Roland Emmerichs 2012. Auch in Stanley Kramers On the Beach bäumt sich das Leben auf, gerade dann, da sein Verlöschen absehbar geworden ist. Die letzten Monate, ehe der Fallout eines globalen Atomkriegs alles dahinrafft, wollen die Menschen noch einmal und rückhaltlos geniessen. Fred Astaire in der Rolle eines verhinderten Rennfahrers erfüllt sich seinen grossen Wunsch und gewinnt im restaurierten Ferrari ein Autorennen. Danach wird er sich an den Abgasen seines Wagens ersticken.

In dieser Zirkelbewegung zwischen Erstarrung und Aufbruch, Ab- und Aufleben ist das ganze Genre des Weltuntergangsfilms gefangen. Wie der Todestrieb bei Freud, der sich als Wiederholungszwang äussert, so ist auch der globale Untergang ein Reigen widerspenstiger Lebendigkeit und hoffnungsloser Vernichtung. Beides, Leben und Tod finden sich am Ende aller Zeiten unentwirrbar miteinander verschränkt. In George Romeros Dawn of the Dead sind die wiederkehrenden Toten lebendiger als jene letzten Menschen, die sich vor ihnen in einem Warenhaus verbarrikadieren und emotional schon längst abgestorben sind. Und in der verpesteten und überbevölkerten Zukunft von Soylent Green zeigt sich erst im Moment des Freitods, wie schön das Leben einmal war. «Siehst du, wie schön es ist», sagt der alte Edward G. Robinson zu seinem Freund Charlton Heston und zeigt auf die Diashow mit Naturbildern, die man ihm vorführt, während er darauf wartet, dass das Gift zu wirken beginnt. Als man seine Leiche wegschafft, wird der zurückbleibende Freund erkennen müssen, dass Leben und Tod gar noch perfider verzahnt sind, als er es sich träumen konnte: Die titelgebenden grünen Nahrungsmittel-Plättchen des Soylent-Konzerns sind aus nichts anderem als aus Leichen gemacht: «Soylent Green is made of people!» Der Tod wird zur Lebensgrundlage.

Und doch perpetuiert sich in diesem Wiederholungszwang des apokalyptischen Todestriebs auch die Hoffung, das Ende sei vielleicht nur ein neuer Anfang. Im erstaunlichen The World, the Flesh and the Devil erkennt Harry Belafonte in der nahezu vollständigen Auslöschung der Menschheit die Möglichkeit für eine Zukunft, die Rassismus und Hass hinter sich gelassen hat. Sogar im vielleicht grauenhaftesten aller apokalyptischen Filme, in Konstantin Lopuschanskys Briefe eines Toten wird man sich schliesslich hoffnungsvoll aufmachen, in jene unrettbar verstrahlte Aussenwelt, vor der man sich bislang im Bunker verborgen hatte. Wahrscheinlich ist das überhaupt der Grund, warum das Kino immer wieder zu diesem Sujet zurückkehrt, es zwanghaft wiederholen muss: In der wiederholten Betrachtung der Apokalypse versichert man sich immer aufs Neue seiner eigenen Lebendigkeit. Doch ist die Hoffnung ohne Angst nicht zu haben. Denn sollte der vermeintliche Weltuntergang sich tatsächlich als Neubeginn entpuppen, wartet möglicherweise in der Zukunft ein noch grässlicheres Ende auf uns. Man überlebt, um weiter zu sterben. Am Ende von Soylent Green, wenn Charlton Heston seine schreckliche Entdeckung laut hinausschreit, gefriert die Szene zu einem jener Standbilder, mit denen der Film begonnen hat. Alles fängt von neuem an. Wieder ist es dunkel geworden im Kinosaal, damit in dieser Schwärze neue Bilder aufflackern können, um dereinst wieder vom Dunkel verschluckt zu werden. Alles ist vorbei – einmal mehr. Das Ende hört nicht auf.

Johannes Binotto.