Neue Zürcher Zeitung, 23.07.2008, S. 45 ✺
Der Zürcher Filmemacher Hans Haldimann hat mit dem Bergbauern-Porträt «Bergauf, Bergab» seinen ersten Kinofilm realisiert – ganz alleine und ohne Unterstützung der offiziellen Filmförderung. In einem Gespräch erklärte er, warum die offensichtlichen Nachteile einer unabhängigen Filmproduktion durchaus auch Vorteile haben können.
Einen Debütanten stellt man sich eigentlich jünger vor. Der Dokumentarfilm «Bergauf, Bergab», der ab 24. Juli in den Schweizer Kinos läuft, ist der Kino-Erstling des 1953 geborenen Hans Haldimann. Ein Anfänger ist dieser Jungfilmer in fortgeschrittenem Alter indes nicht. Ehemals freier Journalist für Schweizer Tages- und Wochenzeitungen, arbeitet er seit gut zwanzig Jahren als Reporter für das Schweizer Fernsehen, wo er mittlerweile verantwortlich ist für die Sendung «Mitenand». Immer wieder hat er zugeschaut, wie von ihm recherchierte Geschichten ins Bild gesetzt wurden. Irgendwann hat er angefangen, es selber zu machen. «Der Vorteil ist nicht zuletzt, dass man sich später beim Schnitt nur über die eigenen Fehler und nicht über jene des Kameramanns ärgern muss», meint er.
Allein unterwegs
Auch für «Bergauf, Bergab» war der Zürcher Filmemacher ganz alleine unterwegs. Ein Autodidakt, ohne Drehteam – Hans Haldimann ist selber nicht verwundert, dass die offiziellen Filmförderer ihn abblitzen liessen. «So wie ich einen Film mache, kann man eigentlich gar keine Filme machen», sagt er selber mit einem Lachen. Und fügt an: «Aber dieser Film wäre gar nicht anders möglich gewesen als so.» Tatsächlich lebt das eindrückliche Filmporträt über die Urner Bergbauernfamilie Kempf von einer Nähe zu den Personen, die mit einem mehrköpfigen Drehteam niemals möglich gewesen wäre. «Als ich später einmal mit einem Tontechniker zu den Kempfs ging, haben diese mir hinterher gesagt: Wenn der immer mit dabei gewesen wäre, hätten wir’s wohl nicht lange ausgehalten.»
Doch auf sich allein gestellt, war es dem Filmemacher möglich, Woche für Woche ins Schächental zu fahren; auch dann, wenn das Drehbuch es nicht verlangte. Allmählich dazuzugehören zum Arbeitsalltag der Menschen – das war der Lohn für solchen Aufwand. «Teilnehmendes Beobachten» – so charakterisiert Hans Haldimann seine Art zu filmen, in Anlehnung an jene soziologische Theorie, die gerade in Mode war, als er selbst studierte. Da kann es denn auch passieren, dass man in einer Szene beim Abendessen den Teller des Filmemachers sieht. Erst wer seinem Sujet so nahe rückt, entdeckt unerwartete Momente und all das, was den Alpenklischees widerspricht. «Zu Anfang habe ich mich tatsächlich gefragt, ob ich nicht hätte einen Bauern suchen sollen, dessen Kühe Hörner haben», erinnert sich Haldimann schmunzelnd. Aber die Realität sieht halt anders aus, nicht wie auf Postkarten, dafür aber auch überraschender.
Um diese überraschende Realität jenseits der Klischees zu zeigen, geht der Regisseur auch das Risiko ein, dass Dinge unbemerkt bleiben. «Wenn man die Feinheiten sieht, ist es gut; wenn man sie nicht sieht, ist es auch nicht schlimm.» Alles restlos zu erklären, ist ihm ein Graus. Und auf die Frage, ob der zuweilen schwerverständliche Urnerdialekt für die Kinoauswertung noch untertitelt werde, antwortet er beinahe stolz: «Eben nicht!» Der Regisseur will dem Publikum mehr zutrauen als sein Arbeitgeber, das Schweizer Fernsehen, wo man immer eindeutig sein müsse. Kein Wunder, war man dort an Haldimanns Bergbauern-Film lange Zeit nicht interessiert. Doch beirrt hat ihn die Ablehnung nicht. «Es trotzdem machen» – so könnte das Motto sowohl des Filmemachers als auch der Menschen in seinem Film lauten.
Nur einmal äussern sich die Bauern im Film darüber, dass der Bund ihnen notwendige finanzielle Unterstützung versagt habe. Doch wer im Kino nicht genau hinhört, kann die Stelle leicht verpassen, so nebenbei geschieht sie. Beklagen wollen sich diese Menschen nicht. In dieser Haltung sind sich der urbane, mit Massenmedien arbeitende Regisseur und die ländlichen, mit einfachsten Mitteln hantierenden Bauern erstaunlich gleich. «Es hat sich einfach alles irgendwie ergeben. Und es war gut so», meint Hans Haldimann lapidar über die Produktion seines Films. Zu lamentieren ist seine Sache nicht. Nicht mehr: «Als Journalist habe ich immer über Negatives geschrieben. Und meistens ging’s um Heimatverlust. Um Bodenspekulanten etwa, die ein schönes altes Haus abrissen, nur um ein neues, teureres hinzuklotzen . . . auch über jenes da drüben habe ich einmal geschrieben!» Und nun zeigt er aus dem Café auf die andere Strassenseite. Doch später fügt er an: «Aber die Leute, die jetzt darin leben, für die ist es anders, die sind jetzt dort daheim.»
Eine Heimat schaffen
Das Negative unterliegt mitunter der menschlichen Fähigkeit, aus allem das Beste zu machen, sich noch unter schwierigsten Umständen eine Heimat zu schaffen. So beweisen es eindrücklich die bergauf, bergab ziehenden Bauern, so dürfte es sich wohl auch in jenem nächsten Film zeigen, von dem Hans Haldimann noch gar nicht recht sprechen mag. Um das Schicksal von Kriegsflüchtlingen soll es gehen, so viel lässt er sich entlocken. «Oh, schwere Kost! – das sagen alle, wenn ich ihnen davon erzähle. Aber ich weiss, dass es kein deprimierender Film werden wird. Ganz im Gegenteil.» Widerstände und falsche Erwartungen scheinen den Regisseur anzuspornen, seine Filme zu machen. Trotzdem.
©Johannes Binotto