Neue Zürcher Zeitung 30.04.2012, S. 15 ///
Obwohl vor dreissig Jahren verstorben, erweist sich Rainer Werner Fassbinder in der Retrospektive des Kinos Xenix noch immer als quicklebendig. Dabei werden nicht nur viele seiner eigenen Filme gezeigt, sondern auch solche, die ihn geprägt haben.
«Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.» So lautet der programmatische Schlusssatz im berühmten, heuer 50 Jahre alt gewordenen Oberhausener Manifest. Auf diesem Dokument, das gemeinhin als Gründungsurkunde des «Neuen Deutschen Films» gilt, fehlt indes der Name jenes Regisseurs, welcher der energischste Exponent dieser Bewegung werden sollte. Es fehlt Rainer Werner Fassbinder. Doch vielleicht fehlt Fassbinder, an den das Kino Xenix mit einer Retrospektive nun erinnert, nicht nur darum, weil er zum Zeitpunkt des Manifests noch gar keine Filme machte. Auch sonst hätte er möglicherweise Mühe gehabt, seinen Namen unter diesen Satz zu setzen. Denn der alte Film ist bei Fassbinder nicht tot, im Gegenteil.
Vorbild Hollywood
Das neue Kino Fassbinders glaubt vielmehr gerade ans alte Kino, jenes nämlich aus Hollywood, dessen Genres, Gesten und Figuren er sich ausleiht. Fassbinder glaubt an die Filme von Raoul Walsh, Howard Hawks und Douglas Sirk, und er glaubt an deren unter deutschen Bildungsbürgern bis heute als naiv verrufenes Genrekino. Er glaubt an den Gangsterfilm und Film noir, den er mit Werken wie «Liebe ist kälter als der Tod», «Götter der Pest» und «Der amerikanische Soldat» fortleben lässt.
Fassbinder zitiert hier die französischen Gangsterfilme Jean-Pierre Melvilles, dessen «Le samouraï» das Xenix glücklicherweise ebenfalls ins Programm genommen hat. Melville wiederum aber zitiert die amerikanischen B-Movies. So sind Fassbinders Filme Wiederholungen von Wiederholungen, Remakes von Remakes. Das hat Methode. «Wenn man ein Wort ganz oft sagt, versteht man gar nicht mehr, was es bedeutet», sagt unvermittelt der Mann am Bankschalter in Fassbinders «Faustrecht der Freiheit». Die Wiederholung allein verfremdet das Vertraute. Das erklärt Fassbinders Obsession für stereotype Handlungen und Sätze, die immergleichen Küsse, Umarmungen und Liebeserklärungen. Wenn seine Figuren glauben, in solchen Gebärden Geborgenheit zu finden, dann macht deren Repetition solche Hoffnung für alle Mal zunichte. Wenn sich Dinge wiederholen, werden sie nur immer abgründiger.
Dasselbe gilt auch für das Genre des Melodrams, welches Fassbinder wie kein anderes wiederholt und wieder hervorgeholt hat. Denn das Melodram ist selber schon auf Wiederholungstrieb und Steigerung angelegt. Wie es sein Name schon sagt, ist dem Melodram das Drama nicht genug, es nimmt die Melodie noch dazu bitte das Ganze nochmals, aber diesmal mit Musik.
In den Fünfziger-Jahre-Melodramen von Douglas Sirk, den Fassbinder so über alles liebte, scheitern die Figuren nie bloss einmal, sondern mehrfach. Wenn die Witwe aus «All That Heaven Allows» für die Verliebtheit in ihren Gärtner von der Upperclass des Städtchens verachtet wird, ist dies nur das Vorspiel für das Unverständnis, welches ihr daheim von ihren eigenen Kindern entgegenschlägt. Fassbinder nimmt diese unseligen Wiederholungsstrukturen auf und repetiert sie nochmals mit herzzerreissenden Melodramen wie «Händler der vier Jahreszeiten», «Faustrecht der Freiheit» und am offensichtlichsten in seinem Sirk-Remake «Angst essen Seele auf».
Doppeldeutigkeit der Ironie
Kritiker, die nicht dieselbe Liebe zum alten Hollywoodkino aufbringen können, wie dies Fassbinder tat, sehen in solcher Aneignung traditioneller Stoffe und Motive vor allem Ironie am Werk. Doch sie scheinen den Begriff zu missverstehen. Denn Ironie bedeutet nicht, dass man das eine sagt, aber das andere meint, sondern vielmehr, dass man es sowohl mit dem einen wie mit seinem Gegenteil ernst meint.
Die Ironie ist doppelbödig, ein Widerspruch und eine Wiederholung in sich. Wie liesse sich das besser zeigen, als mit jenem alternativen Ende des Meisterwerks «Mutter Küsters Fahrt zum Himmel», welches Fassbinder für den amerikanischen Markt verfasste. Dieses Happy End ist nicht naiver als das bittere Ende der deutschen Fassung, sondern ungleich klüger. Denn dieses Happy End ist ironisch im erwähnten Sinne, doppeldeutig. Das Klischee liefert seine eigene Subvertierung gleich dazu, und so sehen wir im glücklichen Ende zugleich auch das tragische, es ist beides zugleich.
In Fassbinders jüngst restauriertem Opus magnum «Welt am Draht», welches das Xenix nun erstmals in einem Schweizer Kino zeigt, errechnet der Supercomputer Simulacron eine Parallelwelt. Doch diese Verdoppelung selbst ist nicht das Beängstigende, sondern erst der Versuch, die Kopie als Original auszugeben. Eindeutigkeit zu propagieren, wo man es in Wahrheit mit Wiederholung, Verdoppelung, Remakes zu tun hat, das ist die Lüge. Die ironische Künstlichkeit hingegen, welche Fassbinder vom alten Hollywood in den Neuen Deutschen Film hinübergerettet hat, ist weder bloss falsch noch einfach wahr, sondern ist wie die Märchen: noch wahrer als wahr.
Zürich, Kino Xenix (Kanzleistrasse 52), bis 30. Mai. http://www.xenix.ch