Neue Zürcher Zeitung, 15.02.2007, S. 56 ///
Er hat sich in jedem erdenklichen Genre versucht: Gangsterfilm, Monumentalepos, Film noir, Komödie, Western, Fliegerdrama, Musical, Science-Fiction, Gefängnis- oder Abenteuerfilm – nahezu alles hat Hawks gemacht und meistens mit Erfolg. Man möchte meinen, Meisterschaft sei nur durch Spezialisierung zu erreichen. Hawks hingegen hat gleich in mehreren Gattungen Paradebeispiele geschaffen: Wer die Top Ten des Western auflisten will, kommt um seinen „Rio Bravo“ (1959) nicht herum; zur Bestenliste der Komödie hat er gleich eine Handvoll Titel geliefert, und über den Gangsterfilm „Scarface“ (1932) meinte Hawks selber ganz unbescheiden, dass er hier alles vorweggenommen habe, was Francis Ford Coppola gut vierzig Jahre später in seinem Mafia-Klassiker „The Godfather“ zeigen sollte. – Angesichts der Vielseitigkeit scheint es ein hoffnungsloses Unterfangen, Howard Hawks fast fünfzig Filme umfassendes OEuvre auf einen Nenner zu bringen. Umso mehr mag erstaunen, dass in den fünfziger Jahren die Kritiker der „Cahiers du cinéma“ neben Alfred Hitchcock ausgerechnet Howard Hawks als prototypischen Autorenfilmer bezeichneten, dessen Handschrift jedem seiner Filme deutlich abzulesen sei. Tatsächlich existiert diese Hawkssche Handschrift; sie zeigt sich, obgleich es zwischen den einzelnen Filmen thematische Bezüge gibt, weniger im Inhalt als vielmehr in der Form.
Winchester
Winchester – so hiess Hawks mit zweitem Vornamen. Wer seine Filme kennt, kommt nicht umhin, zu schmunzeln über diesen passenden Namen. Wie die Winchester, jenes berühmte Repetiergewehr des Wilden Westens, das sich mit einem einzigen Handgriff laden liess, so war auch Hawks‘ Spezialität die erstaunliche Geschwindigkeit, mit der er seine Ideen abfeuerte. In jungen Jahren war der Regisseur Autorennen gefahren, und in seiner Freizeit war er ein begeisterter Schütze. Entsprechend machte er Kino: „Meine Filme sind mindestens 20 Prozent schneller als die meiner Kollegen“, erklärte er einmal stolz, und offenbar hatten die meisten seiner Darsteller zu Drehbeginn einige Tage gebraucht, bis sie sich an das neue Tempo gewöhnt hatten.
Nirgends lässt sich das rasante Tempo besser studieren als in Howard Hawks‘ Komödien. Wenn in „Bringing Up Baby“ der unbeholfene Cary Grant einem Dinosaurierknochen nachjagt und derweil von der liebestollen Katherine Hepburn und ihrem zutraulichen Leoparden verfolgt wird, wäre es ein Euphemismus, zu sagen, dass die Dinge sich überstürzten. Dies gilt nicht weniger, wenn im fulminanten Spätwerk „Man’s Favorite Sport“ Rock Hudson als Angelspezialist, der weder angeln noch schwimmen kann, ausgerechnet den grössten Hecht an Land zieht, indem er in den See purzelt und den Fisch in seiner Hose fängt. Nicht umsonst nennt man diese Spielart der Komödie „Screwball-Comedy“, in Anlehnung an einen Ausdruck im Baseball für einen Wurf, welcher derart Geschwindigkeit und Effet aufweist, dass auch der beste Schläger ihn verfehlt. – In „His Girl Friday“ indes hat Hawks seinen Schnellfeuerwitz derart beschleunigt, dass auch heute noch jedem Zuschauer der Atem wegbleibt. Erzählt wird die Geschichte eines skrupellosen Zeitungsredaktors, der mit allen erdenklichen Tricks und haarsträubenden Lügen seine beste Reporterin davon abzuhalten versucht, den Journalisten-Job an den Nagel zu hängen. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden Protagonisten ist ein regelrechtes Wortgefecht, in dem sie sich gegenseitig andauernd ins Wort fallen. Damit bei diesem für die damalige Zeit revolutionären Verfahren keine Gags ungehört bleiben, liess Hawks die Dialoge so schreiben, dass jeweils der erste und der letzte Satz eines Monologs entbehrlich waren, damit sich die Stimmen dort überlappen konnten, um so den Eindruck von Geschwindigkeit zu erzeugen.
Trotz solchen Vorsichtsmassnahmen hat Hawks‘ Tempo den Grossteil des Publikums zuweilen überfordert, seinem Erfolg aber hat das keinen Abbruch getan. „In jedem Kinopublikum hat es zwei, drei Leute, die schneller begreifen als alle andern. Für diese drei mache ich meine Filme. Sie beginnen zu lachen, und die andern machen es ihnen nach.“
Genie
Bei der Geschwindigkeit und der Treffsicherheit seiner Witze über lächerliche Männer und selbstbewusste Frauen blieb Hawks keine Zeit für anderen Firlefanz, wie besondere Kameraeinstellungen oder verschachtelte Erzählweisen. Und wenn ihn junge französische Kritiker als Autor bejubelten, mokierte er sich nur darüber. Er sprach von sich selbst nie als von einem Künstler, er bezeichnete sich bloss als einen soliden Geschichtenerzähler. Wahrscheinlich aber war sich Hawks sehr wohl bewusst, dass Understatement seine Fähigkeiten nur noch deutlicher hervortreten liess. Betrachtet man all seine Treffer, besteht jedenfalls kein Zweifel: Winchester Hawks, der Meisterschütze des Kinos, war ein Genie, auch wenn er das selber bestritt.