Neue Zürcher Zeitung 30.06.2011, S. 21 ✺
Das unbekannte Bijou eines bekannten Regisseurs: Das Filmpodium zeigt als Reedition Fritz Langs «While the City Sleeps», in dem skrupellose Pressevertreter nicht nur das Gesetz, sondern auch das Verbrechen in die eigenen Hände nehmen.
Als man vor drei Jahren in Buenos Aires eine Kopie von Fritz Langs «Metropolis» aufstöberte, die auch längst verloren geglaubte Szenen enthielt, feierte man diesen Fund lautstark und völlig zu Recht als Sensation. Vergessen ging dabei freilich, dass dieses frühe Meisterwerk bei weitem nicht der einzige Film Langs ist, welcher der Wiederentdeckung harrt. Nach wie vor ist es erstaunlich, wie unbekannt mitunter die Werke dieses überaus bekannten Regisseurs geblieben sind, selbst unter Cineasten.
Mit «While the City Sleeps» von 1956 präsentiert das Zürcher Filmpodium nun eines dieser verkannten Glanzstücke als Reedition eine kleine Sensation. Denn der Thriller um einen Medienkonzern, der seine Reporter ausschickt, um einen Frauenmörder zur Strecke zu bringen, hat über die Jahre erstaunlich an Aktualität gewonnen. In Zeiten, da Gerichtsverhandlungen von der Presse nicht bloss begleitet, sondern vorweggenommen werden, mutet Langs Reportermeute, welche um der Auflage willen das Gesetz selbst in Hand nimmt, gar nicht mehr so unrealistisch an.
In Fritz Langs «Fury», seinem ersten Film im amerikanischen Exil, waren die Täter noch die lynchwütigen Bürger, welche von den Medienleuten entweder angestachelt oder, am Ende, bezähmt werden. In «While the City Sleeps» hingegen, seinem vorletzten US-Film, scheint eine Welt ausserhalb der Redaktionen und Fernsehstudios gar nicht mehr zu existieren. Es ist vielmehr, als würden die Verbrechen nur für und wegen der Berichterstattung geschehen. Polizei und Justiz haben das Gewaltmonopol längst an die Kollegen von der Presse abgetreten.
Und selbst der gejagte Serienkiller scheint bloss eine Erfindung der Revolverjournalisten zu sein: Der Mörder ist ein Schlagzeilen-Geschöpf mit Klischees anstelle einer Psyche. Das hölzerne Spiel seines Darstellers, die stereotype Gestik und Mimik, in der sich die Psychopathie der Figur ausdrücken soll, ist darum auch kein Mangel. Vielmehr zeigt sich darin gerade die Abhängigkeit des Killers von der Presse: Denn nuancierte seelische Abgründe haben in den Kurztexten der Boulevardzeitungen keinen Platz, und am Fernsehen macht nur Furore, wessen Gesichtsausdruck auch auf dem kleinen Schirm sofort zu lesen ist. Wie symbiotisch die Beziehung zwischen Killer und ihn jagenden Medien ist, zeigt sich besonders prägnant, wenn sich der Reporter Ed Mobley in einer Fernsehsendung direkt an den Mörder wendet.
Gefilmt ist diese Sequenz in der Technik von Schnitt und Gegenschnitt: Die Aufnahmen des TV-Moderators wechseln sich ab mit den Bildern, welche die Reaktionen des vor dem Fernseher sitzenden Verbrechers zeigen. Die Inszenierung ist exakt dieselbe, wie man sie von Polizeiverhören im Kriminalfilm bestens kennt. Doch während dort Ermittler und Verdächtiger im selben Zimmer sitzen, sind sie hier nur per Fernsehkanal miteinander verbunden. Wie der Philosoph Jacques Rancière in seiner brillanten Analyse von Langs Film herausgestrichen hat, verkehrt sich in dieser Szene der Begriff der Tele-Vision: Die TV-Übertragung funktioniert in beide Richtungen und registriert nicht nur, was im Studio geschieht, sondern nimmt auch den Zuschauer zu Hause ins Visier. Das Fernsehgerät wird so zum panoptischen Kontrollapparat, dessen Anweisungen alle, auch die Delinquenten, Folge zu leisten haben. So erscheinen denn auch die Taten des Serienmörders fortan als Versuche, dem zu entsprechen, was er am Fernsehen über sich selber gehört hat. Der Täter wird zur Marionette, die kriminelle Energie aber bündelt sich in den Medien und bei jenen, die sie zu nutzen wissen. Es ist darum kein Zufall, wenn der Boss des Pressekonzerns, der sich noch auf dem Sterbebett mit Fernschreibern umgibt, frappant an den gelähmten Meisterverbrecher Haghi aus Langs Stummfilm «Spione» erinnert. Bereits dessen Kommandopult ähnelte einem Newsdesk, an welchem nicht nur Attentate, sondern auch Presseberichte fabriziert werden.
In der Informationsgesellschaft sind die Pressevertreter selbst auf den Posten des Schurken vorgerückt und verüben Anschläge mittels Druckerschwärze, Radiowelle und Fernsehsignal Massenvernichtungswaffen der Zukunft. Fritz Lang wusste das schon vor über einem halben Jahrhundert.