Neue Zürcher Zeitung 31.01.2014, S. 19 ✺
Unter den Regisseuren des New-Hollywood-Kinos ist Monte Hellman der grosse Unbekannte geblieben und laut Quentin Tarantino «das bestgehütete Geheimnis von Hollywood». Das Xenix lädt zur (Wieder-) Entdeckung dieses Meisters der Lakonie.
«Ich habe gelernt, ein Flugzeug zu fliegen . . . und hab das Interesse daran verloren. Oder Wasserskifahren . . . und hab das Interesse daran verloren. Aber das hier bleibt erhaben . . . Etwas, wo man kämpft bis zum Tod . . .»
So spricht die rauchige Männerstimme von Monte Hellmans Lieblingsschauspieler Warren Oates am Anfang von «Cockfighter», während der Blick der Kamera aus dem Fenster eines Wohnmobils auf die vorüberziehende Landschaft gerichtet ist.
Ultimative Grenze
Es ist das Credo eines Getriebenen in Wort und Bild gefasst. Was man lernen, was man beherrschen kann, verliert den Reiz. Nur das Weitermachen, das Weiterfahren zählt. Zu verfolgen lohnt sich einzig, was keine andere Grenze kennt als jene ultimative des Todes. Das ist die Haltung von Frank, dem Protagonisten von «Cockfighter», der mit Hahnenkämpfen sein Geld verdient und dabei nicht nur das Leben seiner Tiere aufs Spiel setzt, sondern auch sonst bereit ist, alles für den Sieg zu geben: Ohne mit der Wimper zu zucken, tritt er die eigene Freundin an den Konkurrenten ab, dem er noch Geld schuldet, und verscherbelt den Familienbesitz, ohne seinem Bruder etwas davon zu sagen. Selbst das Sprechen hat er aufgegeben, seitdem er im Vorfeld eines Kampfes den Mund allzu voll genommen hatte. Der Trieb sei stumm, heisst es bei Freud und Frank ist dessen Verkörperung. Stumm und verbohrt strauchelt er weiter auf dem Weg zum Sieg, der doch nur ein Sieg über das Leben selbst sein kann.
Endlose Kreisbahn
«Drive» so bezeichnet man im Englischen passenderweise sowohl das Fahren wie den Trieb. Der Trieb so lehrt es die Psychoanalyse kennt kein Ziel, kein Ende, keine Befriedigung. Jedes errungene Objekt treibt ihn nur noch stärker an, treibt ihn weiter auf seiner endlosen Kreisbahn. So sind die Figuren in Hellmans triebhaften Filmen eigentlich allesamt Drifters und Drivers Fahrende, die sich treiben lassen, wie die beiden namenlosen Rennfahrer in «Two-Lane Blacktop», die ziellos durch Amerika brettern, immer nur von einem Strassenrennen zum nächsten. Oder die Kopfgeldjäger aus dem Western «The Shooting», die durch die sengende Wüste reiten, ohne zu wissen, wem sie da auf der Spur sind, noch, wovor sie fliehen.
Ein Getriebener muss aber offenbar auch der Regisseur Monte Hellman sein, um noch unter widrigsten Bedingungen Filme machen zu können. Beim Horrorstreifen «Silent Night, Deadly Night III: Better Watch Out!» hat er gerade einmal eine Woche gebraucht, um das Drehbuch zu schreiben, danach vier Wochen Dreharbeiten und drei Wochen im Schneideraum fertig. Kein Wunder, nennt er den Film zuweilen seine grösste Leistung (wenn auch nicht seinen besten Film).
Die Beschränkung, die Reduktion aufs Wesentliche, auf den puren Trieb bestimmt bereits Hellmans Anfänge. Als er Ende der fünfziger Jahre in Los Angeles die erste amerikanische Aufführung von Becketts «Warten auf Godot» veranstalten will, wird das Theater nach nur wenigen Vorstellungen verkauft und in ein Kino umgewandelt.
Roger Corman, der umtriebige Produzent von rasant und billig gemachten Reissern und Förderer jener Jungregisseure und Schauspieler, die später New Hollywood prägen sollten, nimmt Monte Hellman zu sich in die Lehre und bringt ihm bei, noch mit kleinsten Budgets und unter maximalem Zeitdruck Kino zu machen. Becket und Corman beide auf ihre je eigene Art Virtuosen der Auslassung und Verknappung , sie werden sich als die prägenden Vorbilder eines Regisseurs erweisen, der die Lakonie zelebriert. Seine beiden zeitgleich für Roger Corman gemachten Western «Ride in the Whirlwind» und «The Shooting» schneiden vom Genre all das Pathos und den Heroismus weg, für das es einst berühmt war.
Bodenloser Fatalismus
Jener im Western exemplifizierte amerikanische Optimismus, dass jenseits der Frontier eine vermeintlichbessere Zukunft wartet, ist einem bodenlosen Fatalismus gewichen. Wenn die Cowboys aus «Ride in the Whirlwind» ein Plätzchen suchen, um Rast zu halten, hängt dort in den Ästen schon seit ein paar Tagen ein Gelynchter. «Das ist kein Land, wo man sich aufhalten sollte», meint der eine Cowboy.
Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten entpuppt sich als ausweglose Hölle, wo sinnlose Gewalt und tödliche Monotonie sich abwechseln. Und wenn am Ende der letzte Überlebende in den Sonnenuntergang reitet, ist das Klischee zynisch gemeint: Man mag zwar davonpreschen, davonkommen aber wird man nicht.
Der sinnlose Trieb behält alle gefangen und auf Trab. Der Trieb, das ist letztlich das Kino selbst, von dem Monte Hellman nicht lassen kann und das sich immer weiter fortsetzt.
Endlose Fortsetzung
So wie in seinem jüngsten Film mit dem sprechenden Titel «Road to Nowhere». Dort verfällt ein Filmregisseur seiner eigenen Figur Realität und Fiktion beginnen sich bis zur Ununterscheidbarkeit zu vermischen. So wie das Ziel des Triebs seine eigene endlose Fortsetzung ist, so führt auch bei Hellman das Kino nirgends anders hin als nur zu sich selbst.
Wenn in «Two-Lane Blacktop» der Fahrer für sein letztes Rennen startet und voll aufdreht, brennt der Filmstreifen durch. Enden kann der Trieb nur in seiner Selbstzerstörung. Auf der Ziellinie wird das Material des Mediums selbst durchbrochen.
In «Iguana» taucht die Titelfigur mit entstelltem Reptiliengesicht aus dem Wasser auf wie aus einer Fotoemulsion. Und in ebendiesem Wasser wird sie dereinst wieder verschwinden: wie ihr Regisseur auf immer verschrieben jener fluiden Kunst namens Films.
Zürich, Kino Xenix (Kanzleistr. 52,) bis 26. 2.