Die Maske hinter der Maske: Zur Komik von Peter Sellers*

Stadtkino Basel, Programmheft (Dezember 2016), S. 10-13 ///

Als Peter Sellers 1974 in die legendäre bildschirmfoto-2016-12-01-um-15-36-10-kopieFernsehtalkshow von Michael Parkinson eingeladen war, machte der Schauspieler noch am Vortag der Aufzeichnung einen Rückzieher. Es sei ihm ganz einfach nicht möglich, als er selber auf die Bühne zu kommen, soll der Komiker dem Moderator erklärt haben. Als er tags darauf dann doch vor versammeltem Fernsehpublikum erscheint, trägt Sellers einen langen Ledermantel und einen Helm und spielt mit absurdem Akzent einen Gestapo-Mann. Danach wird der Mantel zum Zauberer-Umhang und Sellers selbst markiert einen Variété-Magier, der einen Trick vorführt, der gar keiner ist. Erst danach setzt sich der Schauspieler hin und beginnt zu erzählen, jedoch weiter gestikulierend, Stimmen imitierend und immer wieder aufspringend, um etwas nachzuspielen. Publikum und Moderator lachen Tränen und auch Sellers lacht. Doch als der Schauspieler gegen Ende des Interviews nach seinem turbulenten Privatleben mit immer wieder wechselnden Liebschaften gefragt wird und er antwortet «I am very happy now», mag man es ihm nicht glauben.
Dieser Fernsehauftritt mitsamt seiner Vorgeschichte führt exemplarisch die besondere Faszination vor, die einen noch immer ergreift, wenn man Sellers‘ Spiel betrachtet. Das Gefühl, jemandem zuzuschauen, den es trotz all seiner Faxen irgendwie gar nicht zu geben scheint. Bei der «Goon Show» im englischen Radio hat der 1925 in Portsmouth geborene Sellers angefangen und mit virtuosen Stimmenimitationen Furore gemacht. Aber auch später wirkt Sellers wie eine Bauchredner-Puppe, die ohne Bauchredner auskommt. Er habe seine eigene Identität chirurgisch entfernen lassen, wird er in der Muppet Show sagen. «There is no me. I do not exist.» Umso wichtiger sind für den Komiker die Masken, mit denen er sein nicht existierendes Ich umhüllt. In ihnen sucht er eine Substanz, die ihm selber so vollständig abzugehen scheint. Über die falschen Bärte von Sellers hat der Filmtheoretiker Sulgi Lie geschrieben, sie seien eigentliche Partialobjekte, welche den ganzen Körper des Komikers zu dominieren beginnen, so wie jene eigenwillige Hand des von Sellers gespielten «Dr. Strangelove» (1964) in Kubricks Film, die unkontrolliert zum Hitlergruss hochfährt oder dem irren Doktor gar an die Gurgel fährt, um ihn zu erwürgen. Gerade ob ihrer Exzessivität ist die Verkleidung niemals vollends überzeugend. Anders als bei Alec Guinness, an dessen Seite Sellers in The Ladykillers (1955) spielt und dem es bekanntlich gelang, ganz in seinen Masken aufzugehen, bleibt bei Sellers die Verkleidung immer als solche erkenntlich. Genau darin aber, in der Fähigkeit, die Verkleidung auf Distanz und das eigene Spiel in einer Art Schwebezustand zu halten, besteht die einmalige Brillanz Sellers. Wo Komiker wie Chaplin oder Keaton ihre Figuren ganz und gar verkörpern, ist Sellers einer, der es schafft, immer mehrere Rollen zugleich zu spielen, der sich laufend häutet und wieder neu verpuppt und dabei diesen Prozess der Transformation niemals versteckt, sondern gerade in seiner Künstlichkeit ausstellt. Auch die legendären Lachanfälle von Peter Sellers am Set, die dazu führten, dass man Szenen laufend wiederholen musste, passen dazu: Man fällt umso leichter aus der Rolle, wo man nur mit einem Bein in dieser drin ist. Die Maske ist immer fadenscheinig, so wie all die absurden Kostüme, die sich Inspektor Clouseau in den Pink-Panther-Filmen überzieht, vom Hochseefischer mit Papagei auf der Schulter über den Glöckner von Notre-Dame mit aufblasbarem Buckel bis zum Mafia-Paten mit Wattebausch in der Backe (so wie das Marlon Brando bei Coppola auch gemacht hat). Ganz egal, wie die Verkleidung ausfällt, immer ist darin sofort auch Clouseau erkennbar. Die Maske zerfällt noch während dem Anlegen, so wie die Warzennase und die Tränensäcke aus Gummi, die Clouseau in The Pink Panther Strikes Again (1976) vom Gesicht zu fliessen beginnen. Hinter der Maske aber kommt nicht etwa Wahrheit zum Vorschein, sondern nur wieder eine weitere Maske, wie beim Häuten einer Zwiebel. Denn natürlich ist Clouseau selber nicht echt, sondern nur absurde Imitation eines Kriminalisten. Das Hütchen und der Trenchcoat des Inspektors sind nichts anderes als durchsichtige Staffage. Auch jener bizarre Akzent, mit dem Sellers seinen französischen Inspektor Englisch sprechen lässt und bei dem aus jedem U ein Ö wird – «you chave ä larsche bömp on your head» -, ist eine Simulation ohne Original. Kein Mensch spricht so.
Das gilt es zu bedenken, wenn man sich heute Sellers’ Rolle als indischer Komparse Hrundi V. Bakshi in The Party (1968) anschaut. Die Schminke, die sich Sellers für diese Rolle ins Gesicht schmiert, wäre als rassistisches Black-(bzw. Brown-)facing zu werten, würde die Verkleidung sich nicht sogleich selbst demontieren. Bakshi bedient keine rassistischen Stereotypen, sondern lässt diese vielmehr sogleich kollabieren und als miserable Fälschung auffliegen. Dadurch aber ist er paradoxerweise der Echteste unter all den falschen Lackaffen und Wichtigtuern auf dieser Hollywood-Party, zu der es ihn verschlagen hat. Was die anderen an Falschheit zu verbergen versuchen, trägt Bakshi unwillentlich nach aussen und wirkt dadurch von naiver Authentizität. Er führt die Hohlheit einer Gesellschaft vor, indem er selber als blosse Hohlfigur auftritt, die unentwegt darum kämpfen muss, sich nicht ganz aufzulösen. Nicht umsonst kommt ihm schon zu Beginn der Party sein Schuh abhanden. In einer Welt, die nur aus Hüllen besteht, riskiert man bei Verlust der eigenen Kleider nicht weniger als sich selbst. Umso irrwitziger ist es mitanzusehen, wie Bakshi so krampfhaft versucht, zu diesem oberflächlichen Haufen dazuzugehören, indem er bei deren Witzen mitlacht, auch wenn er sie gar nicht verstanden hat. Anders als Jacques Tatis Monsieur Hulot im legendären Playtime (1967), der zur exakt gleichen Zeit, da The Party in die Kinos kam, durch die Partywelt der Upperclass stolpert, möchte Sellers‘ Bakshi sich ganz seiner Umgebung anpassen. So frappant analog The Party und Playtime in vielerlei Hinsicht sind, so diametral verschieden sind ihre Komödianten: Monsieur Hulot weiss gar nichts von dem, was um ihn herum passiert. Hrundi V. Bakshi hingegen will sich immer integrieren, möchte alles richtig machen und bringt dadurch erst alles durcheinander. Hulot sorgt für Verwirrung, weil er so ganz bei sich ist. Bakshi stiftet Chaos, weil er sich nur in der Anpassung an die andern finden kann. Umso paradoxer ist es, dass Sellers mit seinen Leistungen als Schauspieler nie zufrieden war, was er in berüchtigten Wutanfällen an Regisseuren und Kollegen, an Familie und Freunden ausliess. Er, der das Imperfekte wie kein anderer zu spielen verstand, fand sich darin nie perfekt genug.
Komik, so heisst es beim Philosophen Henri Bergson, entsteht dort, wo die normalen Bewegungen des menschlichen Körpers plötzlich an einen blossen Mechanismus zu erinnern beginnen. Wenn das lebendige Subjekt sich in einen Automaten verwandelt, beginnen wir zu lachen. Peter Sellers gibt dieser Logik des Komischen indes noch einen zusätzlichen, brillanten Dreh, indem es bei ihm nicht um die Irritation des Natürlichen durchs Mechanische geht, sondern vielmehr umgekehrt um die Störung der Mechanik durchs Lebendige: Was seine Figur des Inspektor Clouseau so lustig macht, ist ja gerade ihr hartnäckiges Bemühen, wie ein Automat zu funktionieren, der sich nie etwas anmerken lässt. Wenn Clouseau versehentlich statt der Zimmertür die Türe des Schranks öffnet und in diesen hineingeht, tut er hinterher so, als habe er genau das beabsichtigt. Stürzt er auch eine Treppe hinunter, so wird er unten angekommen sofort aufstehen, als wäre nichts gewesen und wenn er in der Verkleidung als Hoteldiener eine ganze Suite verwüstet, würde er doch nie seine Maskerade ablegen, selbst dann nicht, wenn jedermann sie durchschaut. Die Illusion, dass alles ganz mechanisch und genau so abläuft, wie es soll, muss aufrechterhalten werden, um jeden Preis. «Keeping up appearances», so nennt man jene typisch britische Haltung, sich niemals anmerken zu lassen, wie mies es einem in Wahrheit eigentlich geht. Peter Sellers ist deren komödiantische Extremform. Die Erscheinung muss aufrechterhalten werden, unbedingt. Dies umso mehr, als ausser dieser Erscheinung ja gar nichts existiert. In Vittorio de Sicas fulminanter Kino-Persiflage Caccia alla volpe studiert der im Knast sitzende Meisterdieb Aldo Vanucci die Stanislawski-Methode und fällt am Schluss auf seine eigene Maskerade herein. Und so verwundert es auch nicht, dass Peter Sellers in der Rolle als weltfremder Gärtner Mr. Chance in Hal Ashbys berührendem Being There (1979) den Höhepunkt seiner Karriere sah. Es scheint, als sei dieser Mr. Chance, der nichts kann, ausser nachzusprechen, was er im Fernsehen gesehen hat, dem Komödianten Peter Sellers am nächsten gekommen: ein Nicht-Subjekt, das nur aus geliehenen Kleidern und fremden Dialogzeilen besteht. Wer den Film sieht, erkennt, dass niemand sonst das hätte spielen können und niemand es je wird wiederholen können. Being There – der offensichtlich ironische Filmtitel erweist sich unversehens doch als wahr. In dieser Rolle eines nicht existierenden Wesens ist Peter Sellers eben doch, was er scheinbar nie war: ganz und gar da.

Die Peter Sellers Filmreihe läuft bis 31. Dezember im Stadtkino Basel.

*[Peinlicherweise habe ich erst im Frühling 2019 entdeckt, dass der Titel meines Essays bereits einmal für ein Buch über Sellers verwendet wurde: Peter Evans‘ „The Mask Behind the Mask“ von 1980. Ich habe das Buch nie gelesen. Man verzeihe mir das unwissentliche Zitat.]