Testgelände für Ungehörigkeit. Pre-Code Hollywood.

Neue Zürcher Zeitung, 18.07.2014, S. 17 ✺

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Das Filmpodium zeigt Hollywoods unanständige Filme aus den frühen dreissiger Jahren, wie sie vor der Einführung des Hays Code noch möglich waren.

In einem Werbefilmchen aus einer US-Wochenschau der frühen 1930er Jahre kommt ein Möchtegern-Revuegirl nach Kalifornien und trifft dort auf lauter verdächtig hilfsbereite Männer. Er werde schon um ihr Wohl besorgt sein, sagt etwa der Musical-Star Dick Powell und zwinkert dabei so anzüglich, dass auch das Landei gleich versteht, was Sache ist. Erstaunlich, wie sich die Traumfabrik hier selbstbewusst als jenes Sündenbabel anpreist, als das sie bei den Puritanern in Verruf ist.

Chefzensor Hays

Nur ein paar Jahre später wäre ein derart schamloses Zelebrieren der eigenen Unanständigkeit nicht mehr vorstellbar. Im Juli 1934 setzt Hollywood den sogenannten Motion Picture Production Code oder Hays Code (benannt nach dem damaligen Chefzensor Will H. Hays) durch und unterwirft damit die Filmproduktion einer Selbstzensur, die allzu unmoralisches Gebaren auf der Leinwand unterbinden soll. Fortan müssen bei Filmrollen-Ende sämtliche Schurken ihrer gerechten Strafe und alle leichten Mädchen dem biederen Familienleben zugeführt werden. Hollywood soll keine Filme mehr produzieren, «welche die moralischen Standards des Betrachters senken könnten».

So erscheinen die Jahre unmittelbar vor dieser Umerziehung, das sogenannte Pre-Code Hollywood, als faszinierende Schonfrist, in der die Traumfabrik mit unbequemen Storys und widersprüchlicheren Figuren experimentiert. Dieser von Filmhistorikern seit längerem intensiv untersuchten Ära widmete nun das Kino Arsenal in Berlin eine grosse Retrospektive. Eine Auswahl davon ist bis Ende August auch im Filmpodium Zürich zu sehen.

Mit dabei etwa ist das frühe Meisterwerk des Gangsterfilms, Mervyn LeRoys «Little Caesar» mit Edward G. Robinson als Rico, der vom Kleinganoven zum König der Verbrecher aufsteigt eine Tellerwäscherstory, wie sie der American optimism so gerne erzählt, mit dem subversiven Dreh freilich, dass unternehmerischer Erfolg hier allein der Unterwelt vorbehalten ist. Und während Schwerenöter und Ladykiller immer beliebte Leinwandfiguren geblieben sind, findet man im Pre-Code Hollywood auch deren weibliche Variante: Die Industriellen-Erbin in «Female» behandelt die Männer als blosses Lustobjekt, mit dem man sich eine Zeitlang vergnügt, um es danach in eine der entfernteren Filialen der Firma abzuschieben.

Ausgetrickste Zensoren

Selbst das angeblich so eskapistische Musical zeigt sich in dem von Busby Berkeley choreografierten «Gold Diggers of 1933» verblüffend sensibel für die harten Realitäten der Zeit, und wenn in der Schlussnummer an die Verlierer der Wirtschaftskrise erinnert wird, tut das Musical dies erschütternder als so manches Drama seither. Freilich droht man ob solch berechtigter Faszination die künstlerischen Freiheiten in Pre-Code Hollywood allzu sehr zu idealisieren. Und wer im Gegenzug kolportiert, Hollywood habe mit der Implementierung des Production Code alle Subversivität aufgegeben, beweist damit nur, wie wenig er sich auskennt. Tatsächlich sind die Meister des Pre-Code Hollywood auch unter erschwerten Zensurbedingungen unbequem geblieben. Mavericks wie Raoul Walsh oder William «Wild Bill» Wellman, die in den frühen Dreissigern mit frechen Trottoirkomödien, Gaunerballaden oder bitteren Sozialporträts wie «Night Nurse», «Me and My Gal» oder «Wild Boys of the Road» provozieren, erklären auch später Gangsterbräute, kesse Burleske-Tänzerinnen und unbeugsame Indianerinnen zu ihren Heldinnen und machen aus ihrer Verachtung puritanisch-asketischer Ideale kein Hehl.

So sind Wellman und Walsh prototypische Vertreter dessen, was Martin Scorsese einst den «Regisseur als Schmuggler» genannt hat. Ernst Lubitsch, der mit Geniestreichen wie «Design for Living» oder «Trouble in Paradise» Dreiecksbeziehungen und erotische Kleptomanie als Lebensstil feiert, bleibt auch nach 1934 unanständig und ein Meister der obszönen Andeutung. «Wir wissen ganz genau, was Lubitsch sagt, nur können wir nicht beweisen, dass er es sagt», soll ein Angestellter im Hays-Office verzweifelt ausgerufen haben. Und Busby Berkeley, der in «Footlight Parade» die Kamera zwischen die Schenkel leicht bekleideter Showgirls schlüpfen lässt, macht dies noch in den prüden fünfziger Jahren und diesmal mit halbnackten Männern!

Behauptete Läuterung

So erscheint denn Pre-Code Hollywood weniger als utopischer Gegenentwurf, als der es zuweilen stilisiert wird, sondern vielmehr als Testgelände Hollywoods, auf dem Typen und Themen entdeckt werden konnten, um sie später, geschickt camoufliert, weiter zu erforschen. Dabei ist es von besonderer Ironie, dass die Zensurbehörden zuweilen unfreiwillig mitgeholfen haben nachzuschauen etwa bei «Baby Face», einem jener Skandalfilme, die ganz besonders für die endgültige Durchsetzung des Production Code verantwortlich gemacht werden: Um die provokante Erfolgsgeschichte einer skrupellosen jungen Frau, die sich in einer Bank hochschläft, zu entschärfen, hat das Filmstudio einen Epilog angeklebt, in dem beteuert wird, dass die Ruchlose wieder in ihre einfachen Verhältnisse zurückspediert worden sei.

Der Film endet prompt damit, dass erneut jene Ansicht einer Fabrik eingeblendet wird, mit welcher der Film begonnen hat. Damit aber wird die behauptete Läuterung sogleich dekonstruiert: So wie das Bild nur wieder auf den Anfang verweist, so scheint auch die Geschichte vom rücksichtslosen Willen zum Erfolg nur in die nächste Runde zu gehen. Eine andere Frau wird es genauso machen: Das war gewiss nicht die Absicht der Zensoren, und doch sagt ihr Filmschluss nichts anderes. Das könnte denn auch sinnbildlich für das ganze Unterfangen des Hays Code stehen: Die Zensur hat nicht dazu geführt, dass die Filme sich bezähmt hätten, sondern nur dazu, dass sie ihre Subversivität besser tarnen und damit, möglicherweise, gar noch potenzieren.


Zürich, Filmpodium (Nüschelerstr. 11), bis 30. 8.

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