Slapstick! Körper in Kettenreaktion

Programmheft Kino Rex Bern (Dezember 2017), S. 5-7 ///

Egal wie tief der Sturz und wie hart der Aufprall – im Slapstickfilm stehen die Figuren immer wieder auf, um dereinst nur noch übler hinzufallen. Unsere Freude über ihr widerholtes Missgeschick ist auch die Lust daran, dass ihnen die Physik offenbar nichts anhaben kann. Und wenn wir laut lachen über die Unfälle, welche Keaton oder Chaplin, Jerry Lewis oder Mel Brooks widerfahren, dann sind wir zugleich voller Bewunderung für eine artistische Leistung, zu welcher Stars von heute wohl kaum mehr im Stande wären.

Der Name ist Programm. Slap Stick meint wörtlich: ein Stecken zum Verkloppen. Im Kindertheater nennt man so den Knebel, mit dem der Kasperle den Teufel verdrischt. In der Comedia dell’arte jenen Stock, an den man ein zweites, klapperndes Stück Holz gehängt hat, damit es noch lauter knallen möge, wenn man damit die Figuren schlägt. So setzt auch das Slapstick-Kino statt auf subtilen Wortwitz auf archaische Körperkomik. Je übler einer auf die Schnauze fliegt, umso lauter lacht das Publikum.

Darin mag man zu Recht eine sadistische Lust erkennen, doch zugleich auch eine exaltierte Lebensfreude. Denn was uns so begeistert, ist nicht allein die exzessive Gewalt die man Slapstick-Figuren antun darf, sondern mindestens so sehr die Tatsache, dass diese selbst noch die schlimmsten Attacken unbeschadet überstehen. Wie in den Cartoons von Tex Avery, dessen Pappkameraden sich begeistert die Schädel platt hämmern, in Wände brettern und von Klippen stürzen, nur um anschliessend sogleich wieder putzmunter aufzustehen, bereit fürs nächste Missgeschick, so feiern auch die Slapstick-Helden aus Fleisch und Blut die unbegrenzte Resilienz. Egal ob unter Buster Keaton die Brücke zusammenbricht oder Charlie Chaplin mitsamt seiner Goldgräberhütte vom Wirbelsturm davongeblasen wird – die Physik wird diesen Stehaufmännchen nie etwas anhaben können. Wenn Jerry Lewis in „Artists and Models“ zur Physiotherapie muss, wird sein Körper derart umgebogen, als sei er aus Gummi. Sein Regisseur Frank Tashlin hat nicht umsonst früher Zeichentrickfilme gedreht. Mit Jerry macht er einfach dort weiter, wo er mit den unbegrenzt verformbaren Cartoon-Figuren bereits war. Und auch Inspektor Clouseau übersteht bekanntlich jeden Anschlag seines Dieners Cato unbeschadet, mag auch die Wohnung hinterher in Schutt und Asche liegen.

Wo in der Realität längst der Tod eintreten müsste, geht im Slapstick das Leben immer weiter. So wie im Experimentalfilm „Der Lauf der Dinge“ von Peter Fischli und David Weiss, diesem grössten Slapstickfilm der Schweiz, der in einer endlosen Kettenreaktion zeigt, wie sich Knallkörper, Autoreifen, Kerzenständer, Klappleitern, Rädchen und Benzinlachen gegenseitig anzünden, umwerfen, anstossen, wegschieben, forttreiben – ewig und ohne Ziel. Die Dinge nehmen ihren Lauf, ungehemmt.

Aber gerade darum können wohl manche Zuschauer mit Slapstick nichts anfangen, weil sie von Kinogeschichten erwarten, dass sie einem sinnvollen dramaturgischen Bogen entlang verlaufen sollen, auf einen logischen Schluss hin. Der Witz von Slapstick indes besteht gerade darin, dass hier mit dem Gesetz des Schlusses selbst radikal Schluss gemacht wird. Nicht Entwirrung der Handlungsfäden, das sogenannte „Denoument“, wie es die Dramentheorie vorschreibt, wird hier anvisiert, sondern die unbegrenzte Fortsetzung ihrer Verwirrung, die schiere Lust an ungebremster Action. „Kino der Attraktionen“ hat der Filmhistoriker Tom Gunning das genannt, eine auf die Frühzeit der Filmgeschichte zurückgehende Tradition, die weniger Geschichten erzählen, als vielmehr den puren Schauwert dessen zelebrieren will, was auf der Leinwand geschieht. Das frühe Kino mit seinen kurzen Filmchen funktionierte so: Die Brüder Lumière, deren Aufnahmen einfach zeigen, was passiert. In ihrem Film „L’arroseur arrosé“ von 1896 – dem wohl ersten Slapstickfilm der Kinogeschichte – ist der Gärtner mit dem Schlauch am Blumen giessen, bis ihm ein Spassvogel den Hahn abdreht. Doch als der Gärtner sich über das Ventil beugt, spritzt ihm das Wasser mitten ins Gesicht. Minimale Erzählung geht einher mit maximalem Körperspass.

Interessant ist dabei auch, dass bereits dieser erste Vertreter des Genres vorführt, wie die Unfälle des Slapstick mit technischen Geräten zusammenhängen. Was in der Comedia dell’arte der Stock, das ist bei den Lumières der Schlauch. In “The General“ ist es eine Lokomotive, welche Buster Keaton ins Stolpern bringt, in Charlie Chaplins „Gold Rush“ sind es Gerätschaften wie Ofen, Schneeschaufel und Gewehr und in „Duck Soup“ der Marx Brothers Schreibfeder, Telefon oder Spiegel, die in einen ebenso absurden, wie unzähmbaren Lauf der Dinge eingespannt werden.

Die Lust des Slapstick an der Kettenrekation und wie diese den Körper der Komödianten mit sich reisst, schlägt sich denn auch direkt in filmischer Form nieder. So wie das Genre Aktionen in ungebremster Verlängerung zeigen will, zieht es die ununterbrochene Sequenz dem zerhackenden Schnitt vor und statt Grossaufnahmen filmt es lieber in Totalen, damit man die Körper von Kopf bis Fuss sehen kann. Wenn in “The General“ die Pleuelstange der Lokomotive langsam auf- und niederzugehen beginnt, zusammen mit dem auf ihr sitzenden Buster Keaton (übrigens der lebensgefährlichste aller Stunts, die er je gemacht hat), so besteht die Faszination und der Witz dieser Szene gerade darin, dass wir diesem Vorgang in seinem ununterbrochenem Verlauf und aus der richtigen Distanz zuschauen können. Auch Chaplins Tanz mit den Brötchen darf von keinem Schnitt unterbrochen werden. Und in Jacques Tatis „Les Vacances de Monsieur Hulot“ rührt dessen sagenhafter Witz gerade daher, dass die Kamera uns nicht Einzelheiten in Grossaufnahmen, sondern immer das grosse Ganze zeigt, wie es allmählich aus den Fugen gerät. Ob Hotelhalle, Badestrand oder Tennisplatz – um sehen zu können, wie weit die Kettenreaktionen bei Tati führen darf man nicht zu nah dran sein. Und wo man mit Hilfe des Filmschnitts betrügen könnte, macht die ununterbrochene Sequenz klar, dass die Komödianten jene unglaublichen Kapriolen mit ihren Körpern auch tatsächlich ausführen: Keaton beispielsweise war tatsächlich von den Häusern gestürzt, von denen man ihn fallen sieht und Chaplin hat für „Gold Rush“ so lange seinen gekochten Schuh gegessen, bis ihm wegen der Lakritze, aus dem dieser gemacht war, schlecht wurde. Wie Jackie Chan, dieser letzte lebende Meister des Slapstick seine halsbrecherischen Stunts immer so filmen wollte, dass man die ganze artistische Leistung seines Körpers sieht, so ist dem Genre, mag es auch noch so sehr allen physikalischen Regeln spotten, eine fast dokumentarische Haltung eigen. So wie die Lumières zeigten, was ist, so will das Slapstick-Kino vorführen, was die Körper seiner Stars alles können. Und das mag auch erklären, warum es solche Filme heute nicht mehr geben kann: Exzessive Akrobaten wie Keaton, Chaplin oder Lewis waren schon damals kaum versicherbar. Heute würde kein Studio mehr riskieren, sie einzustellen. Dem Kino sind die Körper abhanden gekommen, die es überhaupt aushalten würden, sich auf lebensgefährliche Kettenreaktionen einzulassen. In den Filmen der Vergangenheit aber leben sie noch immer weiter. Nicht kaputt zu kriegen.

©Johannes Binotto

Zur Filmreihe: Slapstick im Kino Rex