Amerika 1839: Unheimliche Transmissionen

[…] Im beängstigenden Familienroman der Ushers werden Personen und Gebäude, Name und Stammsitz unheimlich ununterscheidbar. Der Meistersignifikant House of Usher bezeichnet immer beides zugleich und darüber hinaus auch noch eben diesen Text selbst, der uns von diesem Haus berichtet. Solche Überdeterminiertheit und die durch sie ausgelöste Irritation hat indes System. Genau um die Unmöglichkeit, die verschiedenen Dinge, Haus, Bewohner, Schrift und Inhalt auseinanderzuhalten, geht es Poe, ebenso wie den unheimlich werdenden Medien.

1839 erstmals in der von Poe betreuten Zeitschrift Burton’s Gentleman’s Magazine and American Monthly Review veröffentlicht, erscheint The Fall of the House of Usher in just jenem Jahr, da man in England die erste kommerzielle Telegraphenlinie entlang der Great Western Railway einrichtet (womit sich die Parallelität zwischen Nachrichten- und Schienenverkehr und überhaupt der gemeinsame Verlauf von Eisenbahn und Medientechnik einmal mehr auch konkret geographisch zeigt). Während also in England Kommunikationskabel zur Komplementierung etablierter Ordnungen verlegt werden, erzählt Poe in der Neuen Welt Amerikas von der Kehrseite solch direkter Verbindungen: die störungsfreie Linie, die »consequent undeviating transmission« schafft in The Fall of the House of Usher nicht klarere Verhältnisse, sondern stiftet im Gegenteil nur noch größere Verwirrung, weil sie nämlich Vermittler und Vermitteltes, Haus und Bewohner kurzschließt. Poe gibt damit bereits über hundert Jahre vor Claude Shannons und Warren Weavers Mathematical Theory of Communication eine interessante Antwort auf deren grundlegende medientheoretische Frage nach dem Verhältnis zwischen Signal und Rauschen: Wo das Ideal eines absolut störungsfreien Kanals und damit einer »undeviating transmission« erreicht wäre, wird Information nicht etwa ein-, sondern stattdessen vieldeutiger. In der Textlandschaft von The Fall of the House of Usher wird alles Rauschen zum unheimlichen Signal.

Poe selber bezeichnet diesen Überschuss an Bedeutung in seinem poetologischen Essay The Philosophy of Composition als »totality, or unity, of effect« – im dichterischen Text, gibt es kein Element, das nicht ohne bedeutungsvolle Wirkung wäre. Doch muss man sich diese Totalität bei Poe weniger als überschaubaren Raum denn als verwirrende Topologie vorstellen. So wie in der topologischen Figur des Möbiusbandes, bei welchem die Unterseite zugleich auch deren Ober- seite darstellt und mithin die vertraute euklidische Geometrie nicht mehr gilt, sind in der topologischen »totality« von Poes Texten hier und dort nicht mehr zu trennen. »I had been passing alone […] and at length found myself within the view of the melancholy House of Usher«, berichtet der namenlose Erzähler im ersten Satz der Erzählung. Dabei ist die Doppeldeutigkeit der englischen Formulierung »within the view« entscheidend, kann sie doch sowohl aktiv wie passiv gelesen werden: Nicht nur, dass der Erzähler das Haus im Blick hat, er selber wird zugleich umgekehrt vom Haus angesehen …

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in: Christian Kiening, Martina Stercken (Hg.): Medialität. Historische Konstellationen, Zürich 2019, S. 399-406 ///