Some Came Running (USA 1958)

R: Vincente Minnelli
B. John Patrick, Arthur Sheekman, nach dem gleichnamigen Roman von James Jones.
K: William H. Daniels
mit Frank Sinatra, Dean Martin, Shirley MacLaine

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Übersteigerung ist seine Natur. Schon der Name sagt’s: Dem Melodram ist das Drama nicht genug, es will die Melodie noch dazu – zur Intensivierung. Darum auch das Faible des Kinomelodrams für andere Gefühlsverstärker, für ausgeklügelte Licht- und Schattenspiele und später für grelle Farben. Solche Überhöhungen wirken umso beeindruckender, je prosaischer das Sujet ist. In dieser paradoxen Verschränkungen von extremer Form und alltäglichem Thema liegt die Eigenart des Hollywood-Melodrams der Fünfziger Jahre. Nirgends lässt sich das besser zeigen als mit der Vorspannssequenz von Vincente Minnellis «Some Came Running»: Die unheilschwanger donnernde Filmmusik Elmer Bernsteins überflutet das Gehör und das Auge versinkt im monumentalen Breitbild und seinen kräftigen Farben. Doch der Anlass, um dessentwillen dieser Exzess filmischer Mittel veranstaltet wird, könnte banaler nicht sein: Die Kamera zeigt das Innere eines Reisebusses, darin ein G.I. der betrunken auf seinem Sitz eingenickt ist. Das ist das Versprechen, welches das Melodram seinen Zuschauern, den Hausfrauen und Kleinbürgern macht: Gerade das Alltäglichste wird Schauplatz exaltierter Emotionen werden.

Der Soldat und verkrachte Schriftsteller Dave Hirsch ist auf dem Weg in sein Heimatstädtchen, einen unvollendeten Roman im Gepäck und eine Rechnung mit dem Bruder offen, der ihn einst ins Waisenhaus abgeschoben hatte. Voller geheuchelter Freude wird Dave von seinem Bruder und der besseren Gesellschaft, die er anführt, empfangen. Doch der Heimkehrer durchschaut die herrschende Doppelmoral sofort: Der ehrenwerte Bruder betrügt die nörgelnde Gattin mit der Sekretärin, der Junge aus gutem Haus, der mit Daves Nichte ausgeht, will auch nur das eine und das sogar gegen den Willen des Mädchens.

Dieser entlarvende Blick hinter die sauberen Fassaden der Kleinstadt ist ein beliebter Topos im Melodram von Douglas Sirks «Has Anybody Seen My Gal?» und «All That Heaven Allows» über Robert Rossens «Island in the Sun», um schliesslich mit Mark Robsons «Peyton Place» von 1957 seine definitive Form zu finden. 

«Some Came Running» nimmt dieses Thema auf, gibt ihm aber im Vergleich zu den Vorgängern eine noch dunklere Note. In Sirks «All That Heaven Allows» fungierte der naturverbundene Gärtner mit seinen Thoreau lesenden Künstlerfreunden noch als Gegengewicht zum bigotten Kleinbürgertum und in «Peyton Place» ist es selbstverständlich die aspirierende Jungschriftstellerin, welche es wagt, die angeblich bessere Gesellschaft anzuklagen. «Some Came Running» hält solche Alternativen zum falschen Leben nicht mehr bereit. Vielmehr entpuppen sich hier auch die angeblichen Freigeister als genau so gehemmt, wie die verstockten Bürger, von denen sie sich abheben möchten. Die ebenso frigide wie intellektuelle Lehrerin, in die sich Dave verliebt, wirkt in ihrem betont nonkonformistischen Haushalt, wo auch in der offenen Küche noch Bücher stehen, mindestens so künstlich, wie Daves Bruder, der in seiner pompösen Villa „Manhattans“ mixt. Alle leben sie in Imitationen. Die authentischste von alle Figuren, ist ausgerechnet die rührende Prostituierte Ginnie, die Dave treu hinterherläuft. Mit ihrem grellen Make-Up, der pinken Stoffrose um den Hals und der Handtasche in Hundeform trägt sie die Künstlichkeit, welche die anderen zu kaschieren versuchen, offen zur Schau.

Die Prägnanz, mit welcher der Film solche Verhältnisse zeigt, ist umso bemerkenswerter angesichts der verqueren literarischen Vorlage. James Jones hatte einige Jahre zuvor mit seinem vielgepriesenen Debut «From Here to Eternity» die Vorlage für einen der bedeutendsten Hollywoodfilme der Fünfziger Jahre geliefert. Sein Mammutbuch «Some Came Running» hingegen wurde von nahezu sämtlichen Rezensenten als überlanges und prätentiöses Machwerk verrissen. Doch Hollywood hatte sich nach dem Erfolg von «From Here to Eternity» bereits voreilig die Filmrechte an dem Roman gesichert und war wild entschlossen, dessen Leinwandpotential zu beweisen. Während man der Traumfabrik immer wieder gerne Versagen bei der Adaption von Literatur vorwirft, entlarvt «Some Came Running» solche Kritik als rundum verkehrt. Nur das Studiosystem im klassischen Hollywood konnte es mit seinen Ressourcen schaffen, aus dem auf über tausend Seiten aufgeblasenen Unding von Roman einen Höhepunkt der Filmgeschichte zu destillieren. Die Drehbuchautoren John Patrick und Arthur Sheekman drehen das Misslingen der Vorlage denn auch kurzerhand zu ihrem Vorteil. Wenn Dave sein zerfleddertes Manuskript aus dem Seesack zieht, auf dem die Etikette «Unfinished Story» prangt, ist damit nicht zuletzt auch die Filmvorlage selbst und deren mangelnde Geschlossenheit gemeint. Doch in eben dieser Ungeschlossenheit besteht das Thema des Films. Es sind gerade all die «unfinished stories», welche die Charaktere antreiben. Und in der Unfähigkeit, Geschichten zu beenden, besteht ihre Tragik.

Impotent sind sie alle – so möchte man in Abwandlung des deutschen Verleihtitels sagen: Auch Dave durchschaut die Defizite seiner Umgebung nur darum so genau, weil er selbst davon nicht ausgenommen ist. So wie der Intellektualismus der Lehrerin ein Symptom für ihre verkorkste Sexualität ist, so fungieren umgekehrt Daves Verführungsanstrengungen als Ersatzhandlung dafür, dass er es als Autor nicht mehr bringt. Das macht die gemeinsamen Szenen so beklemmend: Der Schriftsteller versucht die Lehrerin ins Bett zu kriegen, damit sie nicht von seinen Büchern sprechen kann, sie hingegen spricht über Literatur, um nichts Sexuelles aufkommen zu lassen. So verkörpert jeder für den anderen genau das, was mit Versagensängsten belegt ist: Zwei Neurotiker, in gegenseitiger Übertragung befangen – da kann es kein Happy End geben. Dazu passt, was Gilles Deleuze über die Filme Minnellis sagt: Seine Figuren seien immer in Träumen gefangen. Doch seien es nicht die eigenen, sondern die Träume des andern aus denen sie nicht mehr hinausfinden. 

Obgleich Auftragsarbeit ist der Film damit ganz Minnelli. Auch darum ist «Some Came Running» so bedeutsam, macht er doch eine oft zu wenig anerkannte Eigenheit des klassischen Hollywoodkinos klar: Die Handschrift eines Auteur zeigt sich weniger dort, wo er unbegrenzte kreative Freiheit geniesst, als vielmehr daran, wie er sich Vorgegebenes anverwandelt und sich in Genreregeln fügt. 

Die Meisterschaft Minnellis erweist sich etwa daran, wie er mit dem Breitbildformat umgeht. Cinemascope scheint mit seiner extremen Betonung der Horizontalen fürs Epische prädestiniert. Menschenaufläufe und weite Landschaften sind sein ideales Sujet. Hier hingegen wird schon ab der ersten Einstellung vorgeführt, warum Scope auch für die intimen Szenen des Melodrams so gut geeignet ist. Wenn im Melodram das Verhältnis zwischen den Figuren mehr zählt, als das Individuum, dann setzt Scope diese Regel optisch um: Das Bildformat ist zu breit für eine Person allein. Es zwingt, Gruppierungen zu filmen. Statt Einzelfiguren zeigt das Breitbild deren Konstellation, die Stellung (im übertragenen, wie konkreten Sinn), die man zueinander einnimmt. Und auch die Enge des Kleinkarierten zeigt sich im gross kadrierten Bild nur noch besser. Immer drängt sich die Senkrechte in Form von Vorhängen, Tür- oder Fensterrahmen ins Bild und zerschneidet es in Zonen. Die Figuren erscheinen so bereits optisch als Gefangene der Verhältnisse, in denen sie leben. In Douglas Sirks «Magnificent Obsession» oder Leo McCareys «An Affair to Remember» drückt sich sexuelle Gehemmtheit in den körperlichen Behinderungen der weiblichen Hauptfigur, ihrer Blindheit oder ihrer Querschnittlähmung aus. Bei Minnelli entäussert sie sich in der mise-en-scène: Wenn Dave die Lehrerin küsst und ihr die Haarnadeln aus dem Dutt zieht, wechseln die beiden vom hell erleuchteten Hintergrund in den tiefdunklen Vordergrund, wo von den beiden nur noch schwarze Silhouetten bleiben. Überscheitungen im Emotionalen zeigen sich als Verschiebungen im filmischen Raum. 

«Style over content» so lautet der gängige Vorwurf gegen Minnelli. Doch man verkennt dabei, dass der Stilwille Minnellis nicht vom Inhalt ablenkt, sondern diesen verkörpert. Dorthin, wo das europäische Kunstkino eines Michelangelo Antonioni in den Sechzigern hinsteuern wird, ist das klassische Hollywood mit Minnelli längst schon angekommen: Intimes zeigt sich aussen, in der Inszenierung Dekor und Farbe.

Diese Verlagerung zeigt sich besonders auffällig in der fulminanten Schlussequenz, in der Dave mit der ihm hörigen Ginnie durch einen Jahrmarkt spaziert. Verfolgt von einem eifersüchtigen früheren Freier Ginnies gehen die beiden auf ihr tragisches Ende zu. Während die Figuren den drohenden Kollaps noch gar nicht ahnen, nehmen ihn die filmischen Mittel vorweg. Die entfesselte Kamera zeigt die Verfolgungsjagd über den Rummel als wilde Phantasmagorie in schreienden Signalfarben. Man befindet sich, nach den Worten des Regisseurs, «im Inneren einer Juke-Box». Die Szene – so haben bereits die zeitgenössischen Rezensenten angemerkt – könnte auch aus einem von Minnellis Musicals stammen. Die Verwandtschaft von Melo-Drama und Operette (auf die auch Sirk, welcher mit Operettenfilmen angefangen hatte, verschiedentlich hinweis) wird damit endgültig explizit. Der Film endet in einem tödlichen Ballet. Die Kugel, welche der eifersüchtige Liebhaber auf Daves abschiesst, fängt die masochistische Ginnie ab. Im Roman war dieser pathetische Tod für den Protagonisten reserviert, der damit endgültig zum tragischen Helden wird, als der er sich sehen möchte. Minelli nimmt auf Anraten von Hauptdarsteller Frank Sinatra den radikaleren und grausameren Ausgang und weist damit voraus auf die zunehmende Desillusionierung, die sich in den Melodramen der folgenden Jahren breit machen wird. Wie in Douglas Sirk «Imitation of Life» von 1959 stirbt auch hier ausgerechnet jene Figur, die sich mit ihrer Gefangenschaft im scheinhaften Leben abgefunden hatte. Allen andern, die verzweifelt auszubrechen versuchen, bleibt solch ein Abgang verwehrt. Im Schlussbild an Ginnies Beerdigung fährt die Kamera auf den Hintergrund zu, jenen Fluss, den man bereits durch die Scheiben des Reisebusses in der allerersten Einstellung gesehen hatte. Die überlebenden Figuren sind keinen Schritt weitergekommen. Der Würgegriff des banalen Alltags hält uns fest.

Johannes Binotto

Literatur: 

Vincente Minnelli (mit Hector Arce): I Remember It Well. New York 1974.
Stephen Harvey: Directed by Vincente Minnelli. New York 1989.
Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt a. M. 1991.
James Naremore: The Films of Vincente Minnelli. New York 1993.
Martin Scorsese, Michael Henry Wilson: A Personal Journey With Martin Scorsese Through American Movies. London 1997.
Peter Bogdanovich: «Some Came Running» In: Ders.: Peter Bogdanovich’s Movie of the Week. New York 1999. S. 93-96.
Johannes Binotto: «Glanz und Elend. Reeditionen von Vincente Minnelli im Filmpodium» Neue Zürcher Zeitung, 16.2.2005. S. 52.
Ders.: «Imitationen des Lebens. Reihe „Farbe im Film“ im Zürcher Filmpodium.» Neue Zürcher Zeitung, 12.4.2005. S. 52.
Peter Bogdanovich: «Frank Sinatra» In: Ders.: Who the Hell’s in It: Conversations with Hollywood’s Legendary Actors. New York 2005. S. 402-422.
Joe McElhaney: «Medium-Shot Gestures. Vincente Minnelli and Some Came Running» In: Ders. (Ed.): Vincente Minnelli. The Art of Entertainment. Detroit 2009. 321-335.

AUS: ELISABETH BRONFEN UND NORBERT GROB (HG.): CLASSICAL HOLLYWOOD. STUTTGART: RECLAM 2013, S. 385-391.