Von der Schwärze des Sehens /
On the Blackness of Vision /
De la noirceur du voir /
Die andere Hälfte zweier Texte für die Installation und das Künstlerbuch AIRE DE BELLELAY von Haus am Gern.
Essay in dt./eng./frz. als PDF >
Nous entrons. Nous regardons. Et nous voilà perdus, irrémédiablement pris au piège. Nous croyons voir quelque chose. Mais nous nous trompons. Nous nous avançons, voyons dans le noir et ne le voyons pas.
Car le noir, on ne le voit jamais. Le noir est invisible.
This statement seems counter-intuitive, since black is that which we continue to see even with our eyes closed. But this is precisely what suggests that black does not reach our perception through the sense of vision. According to physics, seeing occurs when rays of light strike the retina of our eyes, where they are transformed into electrical signals that are then transmitted to the brain, which in turn reconfigures light impulses into images. Blackness, then, does not emit light rays, and hence cannot be seen. We are blind to that which does not radiate light.
Scientists at the British firm Surrey NanoSystems recently developed a substance under the brand name “Vantablack”, which claims to be the blackest known material in the world. Composed of a kind of carpet of carbon nanotubes, Vantablack absorbs light almost completely and reflects only a small remaining 0.035% of its surface radiation. Those who have seen samples of Vantablack say it is like not looking at any substance at all, but as if one was looking directly into a black hole. In fact, these people have not actually seen Vantablack at all. How could they, when the material does not reflect light rays and so cannot imprint itself on the retina of the beholder? Absolute black remains unseen. Only its margin is visible, the edge at which visible space suddenly ends and a spot of invisibility opens up. Blackness is what we imagine to lie at the limits of vision.
Unsichtbar zu sein bedeutet denn auch nicht, nicht wahrnehmbar zu sein. Ganz im Gegenteil. In Hermann von Helmholtz’ «Handbuch der Physiologischen Optik» von 1867 heisst es: «Das Schwarz ist eine wirkliche Empfindung, wenn es auch durch Abwesenheit alles Lichts hervorgebracht wird. Wir unterscheiden die Empfindung des Schwarz deutlich von dem Mangel aller Empfindung. Ein Fleck unseres Gesichtsfeldes, von welchem kein Licht in unser Auge fällt, erscheint uns schwarz, aber die Objecte hinter unserem Rücken, von denen auch kein Licht in unser Auge fällt, mögen sie nun dunkel oder hell sein, erscheinen uns nicht schwarz, sondern für sie mangelt alle Empfindung.» Schwarz wird empfunden, gerade weil es sich als Abwesenheit so vehement bemerkbar macht. Wie ein Phantomschmerz erscheint die Wahrnehmung von Schwarz dort am schärfsten, wo sich inmitten des Sichtbaren ein Loch auftut. Wir sehen umso schärfer, wo es inmitten des Sichtbaren nichts zu sehen gibt.
Diese Paradoxie, dass Schwarz zwar den Ausfall aller Sichtbarkeit bezeichnet, zugleich aber gerade dadurch unsere Wahrnehmung schärft oder sogar erst ermöglicht, schlägt sich in einem Medium wie dem des Films auch technisch nieder: Nimmt man einen Filmstreifen zur Hand, wird man sehen, dass sich zwischen den Einzelbildern eines Films immer Lücken befinden, lauter schwarze Balken. Darüber hinaus wird der Film in der Kamera ruckartig und von einer Blende skandiert durch den Apparat gezogen und auch bei der Projektion im Kino wird jeweils der Moment, wenn der Film von einem Bild zum nächsten vorrückt, von einer Blende kaschiert. 24 Bilder pro Sekunde – die Geschwindigkeit, mit welcher Filme im Kino gezeigt werden – das bedeutet auch folglich 24 mal pro Sekunde absolute Finsternis. So sitzen wir, wenn wir einen zwei- stündigen Film betrachten, tatsächlich eine Stunde lang im Dunkeln. Im Kino sehen wir immer nur zur Hälfte. Die Dunkelheit aber, das Schwarz der Blende, ermöglicht erst, dass wir im Kino überhaupt etwas sehen. Würde nämlich die Blende fehlen und der Filmstreifen ununterbrochen, ohne Skandierung durch den Apparat laufen, wäre auf der Leinwand nichts ausser einem undurchdringlichen Gewimmel zu erkennen. So basiert die Illusion des lebendigen Bildes auf einem überraschenden Widerspruch: Damit auf der Leinwand bewegte Bilder gesehen werden können, müssen diese von der Dunkelheit durchzuckt werden. Erst die Abwesenheit von Licht öffnet uns die Augen.
Ein Gedanke zu “fleck / flush / flaque”