[…] In der Kadrage bei Ida Lupino, so wäre meine Behauptung, äußert sich nichts Geringeres als ein ganz eigenes, nüchternes und desillusioniertes, dabei aber durchaus nicht verzweifeltes Verständnis unserer Existenz. In den Bild-Einstellungen Lupinos, so könnte man in Anlehnung an die prägnante Formel Gertrud Kochs sagen, zeigt sich ihre Einstellung zur Welt.
Exemplarisch dafür ist eine faszinierende Szene im letzten Akt von Ida Lupinos Melodrama Hard, Fast and Beautiful (1951) die als Moment des Erkennens fungiert: Die Tennisspielerin Florence erkennt die Manipulationen ihrer Mutter Millie, die Mutter hingegen ihre eigene Abhängigkeit vom Erfolg der widerspenstigen Tochter. Indes dient vor allem eine buchstäbliche Kleinigkeit in dieser Szene als faszinierender Hinweis auf jene, sich hier sowohl bei Tochter wie Mutter Bahn brechende Erkenntnis der eigenen Gefangenschaft: Die betrunkene Florence hat ein kleines Stofftierchen von ihrer Abendveranstaltung mit nachhause gebracht, das sich aufziehen lässt, um dann über den Deckel eines Koffers zu wackeln, bis zum Rand. Doch ehe das Spielzeug hinunter fällt, rückt die Tochter es wieder an den Anfang und lässt es erneut dem Rand zu kriechen, immer wieder, so lange, bis die gespannte Feder in seinem Innern abgelaufen ist und das Tierchen stockend stehen bleibt.
In dieser scheinbar nebensächliche Handlung, die parallel zum Dialog zwischen Mutter und Tochter geschieht, ist das eigentliche Zentrum der Szene zu erkennen. Denn unweigerlich erscheint einem das mechanische Spielzeug, das sich sinnlos vorwärts bewegt und immer wieder von vorne anfangen muss, als Metapher für die Situation der Tochter, die, statt ihren eigenen Weg gehen zu dürfen, Marionette an den Fäden der Mutter bleibt.
Wer die Hollywood-Melodramen der 1950er sehr gut kennt, der kann in diesem, über den Koffer wackelnden Spielzeug, darüber hinaus eine Vorwegnahme jenes Spielzeugroboters aus Douglas Sirks There’s Always Tomorrow (Es gibt immer ein Morgen) von 1956 erkennen. Auch dort fungiert das Spielzeug als Sinnbild für den unglücklichen Protagonisten und dessen vergebliches Begehren nach einer erfüllenderen Existenz: Am Höhepunkt der Verzweiflung in Sirks Film, als sich der Traum des Spielzeugfabrikant Clifford Groves von einem besseren Leben endgültig zerschlägt und die große Liebe seines Lebens sich für immer von ihm verabschiedet, bleibt der gebrochene Mann in seiner Fabrik zurück, den Rücken uns zugewandt. Hinter seinem Rücken auf dem Werktisch der Fabrik aber sehen wir seine neueste Innovation, den neuen Mini-Roboter über die Platte wackeln, aus dem Bildrand hinaus und damit auf die Tischkante und mithin auf sein sicheres Ende zu.
Fast möchte man annehmen, Sirk habe hier die Szene aus Hard, Fast and Beautiful im Kopf gehabt, um sie in seinem eigenen Film gleichsam nachzustellen und deren allegorische Funktion noch stärker hervorzuheben, indem er das Spielzeug buchstäblich in den Vordergrund rückte. Umso mehr aber gilt es angesichts dieser auffälligen Analogie zwischen diesen beiden Szenen, auf deren Unterschiede näher einzugehen. Denn während das tragische Pathos der Szene bei Sirk darin besteht, dass das Spielzeug sich aus dem Bildausschnitt hinausbewegt ins sogenannte hors-champ und damit also nicht nur vom Tisch, sondern aus dem Filmbild selbst hinausfällt, wird bei Lupino genau dieses Über-den-Rand-gehen verhindert. Geht es bei Sirk also darum, wie das Filmbild regelrecht über-treten wird, ist in hard, fast and beautiful solch eine Überschreitung nicht möglich. Florences Hand, welche das Spielzeug immer schon zurückzieht, noch bevor der Stoffpanda abstürzen könnte, bewahrt mit dieser Geste zudem die Integrität filmischer Kadrage. Ein Außerhalb des Filmbildes, ein hors-champ, so zeigt sich bei Lupino (und im Gegensatz zu Regisseuren wie Sirk), gibt es nicht. Dieses Fehlen des hors-champ scheint Lupinos Melodrama auf den ersten Blick noch auswegloser zu machen als dasjenige Sirks. Vielleicht zeigt sich darin aber auch einfach eine Haltung, die klarsichtiger und unsentimentaler ist, dabei aber trotzdem auf nüchterne Art der Zukunft zugewandt.
Gegen das Pathos des hors-champ
Das hors-champ in welches der Spielzeugroboter bei Sirk watschelt, dieses »radikale Anderswo« des Filmbildes, «dort, wo es immer ein Morgen gibt« (wie man den Filmtitel There’s Always Tomorrow ja auch verstehen könnte) ist, worauf Sirks Melodramen insgesamt abzielen – als Ort eines offenkundig unmöglichen, sich nie erfüllenden Begehrens. Die bei Sirk immer wiederkehrende »magnificent obsession« (um auf einen weiteren seiner Filmtitel anzuspielen), ist die nie gestillte Sehnsucht nach einem Jenseits.
Es ist eben dieses Pathos des hors-champ, dem sich Ida Lupino verweigert und das sie, in Filmen wie The Bigamist einfühlsam, aber gleichwohl unmissverständlich kritisiert. Dort lässt sich ein Mann, auf einer Touristentour durch das Villenviertel der Hollywoodstars in Beverly Hills verführen von jener, vor dem Fenster des Autobusses vorbeiziehenden Aussicht auf ein anderes Leben. Wie schön es doch wäre, jenseits des Gewohnten noch einmal neu anzufangen, ein anderes Leben zu führen, eine andere Familie zu haben. Am Ende aber wird der Bigamist aufwachen und einsehen müssen, dass es ein Leben im separaten Anderswo nicht geben kann. Spätestens im Gerichtssaal kommt alles raus und die beiden Frauen, die nichts von einander wussten, treffen endlich in einem Raum zusammen. Der Traum vom Anderswo zerplatzt, doch nur so kann man überhaupt jene Möglichkeiten erkennen, die man tatsächlich hat. Dieser Einsicht entspricht auch Lupinos Kadrage. In ihrem Umgang mit dem Bildausschnitt setzt die Regisseurin der melancholischen Idealisierung des hors-champs als einem Ort unverwindbaren Verlusts, das nüchterne Insistieren auf den Bereich des Möglichen entgegen. Wie aufreibend dieses Verbleiben im Bereich des Möglichen freilich sein kann, zeigt the Hitch-Hiker (1953) eindrücklich: der Thriller um zwei Freunde auf der Reise durch Mexiko, die von einem psychopathischen Killer gezwungen werden, ihm bei der Flucht zu helfen, wäre vom Setting her ein road movie, entpuppt sich aber eigentlich als klaustrophobisches Kammerspiel auf engstem Raum. In den Aufnahmen im Wageninneren füllen die Figuren das Bildkader bis zum Rand, ein Außerhalb zieht höchstens als Rückprojektion vor den Wagenfenstern vorbei. Egal wie weit weg man zu fahren versucht, im Auto drin sitzt man umso enger zusammen – so zeigen es die kompakten, geradezu hermetischen Einstellungen. Und doch ist Ausbruch keine Option. Wenn sie egoistisch genug wären, so mokiert sich an einer Stelle der Killer über seine Opfer, dann wäre einem von ihnen bestimmt die Flucht gelungen – »but you kept thinking about each other.« Zusammenhalt erscheint dem Bösewicht nur als Falle, aus der man abhauen muss. Der Film aber wird am Ende den beiden Freunden Recht geben. Das Schlussbild gehört ihnen, Arm in Arm.
Die Lektion, welche Lupinos Filme bereithalten, wäre demnach die: statt sich ins unmögliche hors-champ zu fantasieren, gilt es mutig auf dem champ zu bleiben. Im Gegensatz zu André Bazin, der das Filmbild insgesamt als zentrifugal bestimmt, zeigt sich der ungewöhnliche filmische Blick Lupinos offenbar gerade darin, dass sie sich weniger für diese übliche Bewegung aus dem Bildfeld hinaus, als vielmehr für die zentripetale Bewegung ins Bildfeld hinein interessiert. Es ist darum besonders sprechend, dass sich das Melodram von Hard, Fast and Beautiful ausgerechnet auf und an Tennisplätzen abspielt: Das Tennisspiel, bei dem bekanntlich Sieg oder Niederlage davon abhängt, ob der Ball ins Feld trifft oder nicht, erhebt die Logik des champ zur absoluten Regel. Die beiden Frauen, Florence und ihre Mutter Millie, haben das verstanden. Sie bleiben denn auch, so wie der mechanische Spielzeugpanda in der eingangs beschriebenen Szene, in weiten Teilen des Films betont innerhalb des Kaders. So ebenfalls in der unmittelbar auf diese Szene folgenden Sequenz, wenn die Mutter am Sekretär in der Hotelsuite die Korrespondenz ihrer Tochter erledigt, während diese im Zimmer auf und ab geht. Die Rückwand des Schreibsekretärs, die einen Teil unseres Blicks auf die Szene blockiert, fungiert dabei wie eine zusätzliche Markierung, welche das gemeinsame Feld von Mutter und Tochter absteckt. Umso auffälliger ist, dass im Gegensatz dazu jene (wenigen) Filmszenen, die betont das hors-champ ins Spiel bringen, lauter Szenen der Männer sind: So sehen wir etwa eine Trainingseinheit von Florences’ neuem Trainer Fletcher Locke bei der nur dieser im Bild gezeigt wird, derweil die Spielerin während der ganzen Szenen außerhalb des Bildausschnitts bleibt und nur als Schatten an der Wand gezeigt wird. Natürlich drückt sich in solch einer Mise-en-scène bereits aus, wie wenig echtes Interesse der Trainer an seinem Schützling hat: So wie die Spielerin nur ein Schatten an seiner Wand ist, als so ersetzbar nimmt er sie wahr (was sich am Ende des Films prompt bestätigen wird, wenn sich Fletcher Locke unmittelbar nach Florences’ letztem Sieg bereits eine neue Protegée anlacht).
Am eindeutigsten mit einem melancholischen Pathos des hors-champ assoziiert aber ist Florences schwer kranker Vater, der die Spiele seiner Tochter immer nur in aus der Ferne, übers Radio mitverfolgen kann. Auffällig ist dabei die sich deutlich auf seinem Gesicht abzeichnende Befriedigung, welche der bereits todgeweihte Vater dabei empfindet, in Abwesenheit vom Erfolg der Tochter zu hören. Solche Lust findet er im Schlafzimmer mit Florences Mutter schon längst nicht mehr. Dort stehen sogar die Ehebetten nicht mehr nebeneinander, sondern Kopf an Kopf: man lebt in getrennten Felder. Damit entpuppt sich denn auch der Vater nicht nur als Opfer, das vom Ehrgeiz der Mutter ins Abseits, ins hors-champ gedrängt wurde. Vielmehr scheint er aus eben dieser Abwesenheit eine melancholische Lust zu ziehen. Die Selbstgerechtigkeit, mit welcher er auf dem Sterbebett seiner Gattin Millie vorwirft, sie habe ihren Weg verloren, und sich dann demonstrativ von ihr abwendet, wirkt überdies als einigermaßen verlogen. Dass es allzu einfach ist, sich narzistisch auf den verlorenen Posten des hors-champ zurückzuziehen, hat im Gegensatz zu Florences Vater deren Verlobter viel besser verstanden: Dieser bleibt auch – anders als der Vater – trotz aller Kränkungen beim finalen Tennisspiel anwesend. Er hat begriffen: Man muss am Feld bleiben.
Es ist denn in diesem Zusammenhang wohl kein Zufall, dass der kurze Cameo-Auftritt von Ida Lupino selbst, ebenfalls nicht jenseits sondern am Tennisfeld stattfindet: In einer kurzen Einstellung sehen wir sie (mit dem Schauspieler Robert Ryan an ihrer Seite) als applaudierende Zuschauerin. So endet der Film nicht außerhalb, sondern dezidiert auf dem Spielfeld: Alleine sitzt die Mutter Millie am Schluss des Films auf der Tribüne, während der Wind den Abfall des vergangenen Spiels über den Platz bläst. Die Kamera aber fährt langsam zurück auf den Rasen, auf dem noch immer die Geräusche der Tennisbälle zu hören sind, obwohl schon gar niemand mehr da ist (eine Szene mithin, die in verblüffender Weise bereits die berühmte Schlussszene von Michelangelo Antonionis Blow Up (1966) vorwegnimmt). Desillusioniert und verkatert bleibt die Mutter zurück. So weit, so bitter. Die Bewegung der Kamera aber zeigt an, wohin der Weg gehen muss: zurück auf den Platz. So ist dieses Schlussbild denn vielleicht auch gar nicht so verzweifelt, wie es einem zunächst scheinen mag, sondern bloß besonders nüchtern. Die Illusionen eines ganz neuen Lebens, eines »radikalen Anderswo« haben sich zerschlagen. Nun gilt es, aufzuwachen und dort weiterzumachen, wo man sich tatsächlich befindet. Inwiefern dies Millie gelingen wird, lässt der Film zwar offen, sein Schlussbild aber, das noch einmal das Spielfeld zeigt, macht deutlich, wo eine mögliche Zukunft stattfindet: nicht im unmöglichen Außerhalb des hors-champ, sondern im Innerhalb des Kaschs des Möglichen.
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Wenn sie die Figuren nicht ins hors-champ entlässt, sondern sie in ihren Bildern behält, macht sie diese präsent, auch in ihrer »separateness«. In den Bildern von Lupinos Filmen zeigen sich die Figuren sozusagen in gemeinsamer Getrenntheit. Das wohl schönste Bild solch einer gemeinsamen Getrenntheit aber gelingt Lupino am Ende von Outrage: Wenn der Priester und Ann sich zum Abschied an der Busstation umarmen, zeigt eine Einstellung, wie die Arme des Mannes um die Stange des Stopschildes herum die junge Frau halten.
Es ist ein verblüffendes Bild, das umso bewegender ist, je weniger es bewusst intendiert scheint. Ob absichtlich oder nicht, kristallisiert sich in diesem Bild nichts weniger als die komplexe Denkfigur einer gegenseitigen Anerkennung, die das Trennende nicht negiert, sondern dieses buchstäblich umarmt, in jenem mehrdeutigen Sinne, die dem englischen Ausdruck »to embrace« innewohnt, welcher ja nicht nur »umarmen«, sondern ebenso »wahrnehmen«, »akzeptieren«, »annehmen« und »sich zu eigen machen« bedeutet. Erscheint die Stange des Straßenschildes wie eine interne Trennlinie, wie ein Schnitt der die Einstellung in zwei Bilder teilt, dann ist die Umarmung um diese Trennung herum zudem eine Allegorie für Lupinos Ablehnung des Pathos des hors-champ: statt sich aus dem Bild fallen zu lassen, geht es darum, sich festzuhalten, auch über die Bildränder hinweg.
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Ein weiterer Schlüsselfilm zu Ida Lupinos Umgang mit Kadrage und hors-champ ausgerechnet ihre erste Regiearbeit fürs Fernsehen – der Kurzfilm No. 5 Checked Out von 1956, basierend auf einem eigenen Drehbuch von Lupino. Es ist die Geschichte der nicht mehr ganz jungen Motelbesitzerin Mary, in deren abgelegenen Ferienhäuschen sich zwei Gangster auf der Flucht verstecken. Einer der beiden, Barnie (ironischerweise gespielt von William Talman, der in Hitch-Hiker den psychopathischen Killer mimte) beginnt ob der Begegnung mit der Frau davon zu träumen, abzuhauen und ein neues Leben anzufangen. Barnies Boss Willy wird währenddessen immer misstrauischer. Schließlich kommt es zum Showdown. Dieses einigermaßen simple Drama wird dadurch interessant, dass die Protagonistin Mary taub ist – ein Umstand, den der abtrünnige Barnie erst spät und sein Boss Willy bis zum Schluss nicht bemerkt. Das macht die Szenen mit Mary so faszinierend, weil man der perfekt Lippen lesenden Protagonistin im Gespräch von Angesicht zu Angesicht die Behinderung nicht anmerkt, ihre fehlende Reaktion auf alles, was man hinter ihrem Rücken dadurch aber noch irritierender wirkt. Nur was Mary unmittelbar sehen und befühlen kann, existiert auch für sie. What you see, is what you get: Was man nur hört, beeindruckt sie nicht. Das hat zudem Konsequenzen für Marys Verhältnis zum hors-champ. Während im Tonfilm, wie Michel Chion gezeigt hat, gerade die Akustik mit Vorliebe dazu genutzt wird, um auf das zu verweisen, was jenseits des Filmbildes liegt, hat Mary in No. 5 Checked Out für dieses Außerhalb buchstäblich kein Gehör. Darum kann das Phänomen der »akusmatischen« Stimmen, jener Stimmen also, deren Ursprung man nicht sehen kann und die aber gerade deswegen eine so große Macht ausüben, bei ihr nicht funktionieren. Das ist indes kein Makel, sondern im Gegenteil eine Stärke. Mary wirkt somit gar nicht behindert durch ihre Taubheit, sondern vielmehr besonders in sich ruhend und gleichsam immun gegen jegliche Einflüsterungen. Das unterscheidet sie von den Männern um sie herum. Der Vater, der sich zu Beginn des Films Sorgen um seine Tochter macht und sie nicht allein zurücklassen will und später der Gangster Barnie, der von einem neuen Leben mit ihr träumt – sie beide sind auf einen Ort jenseits des Gegebenen ausgerichtet. Sie sind verführt vom Versprechen eines unerreichbaren, immer schon verlorenen hors-champ. Die taube Mary hingegen ist als einzige fähig, sich mit dem zu arrangieren, was tatsächlich ist. So erweist sich die Schlussszene von No. 5 Checked Out ebenfalls als Konfrontation dieser beiden ganz unterschiedlichen Haltungen: Mary und Barnie sitzen angelnd am See (aus der Ferne misstrauisch beäugt von Willy). Da steht Barnie auf, angeblich um Kaffee aus dem Kofferraum des Wagens zu holen. Doch als er davongeht, bleibt er stehen, dreht sich noch einmal um und erklärt der ihm den Rücken zuwendenden Frau seine Liebe. Sie wäre gut für ihn gewesen, sagt er, doch es sei zu spät. Die taube Mary aber hört von all diesem melancholischen Reden nichts, genau so wenig, wie von der unmittelbar darauf stattfindenden Schießerei zwischen Barnie und Willy, bei dem beide sterben. Zwar versucht der tödlich getroffene Barnie sich noch zu ihr zu schleppen, aber er schafft es nicht mehr. Er stirbt unbeachtet.
Crashing out, staying in
Damit entpuppt sich diese Schlussszene von no. 5 checked out als verkapptes Remake des berühmten Finales aus Raoul Walshs high sierra (Entscheidung in der Sierra; 1941). In diesem hatte Ida Lupino selbst die weibliche Hauptrolle gespielt und dabei bereits eben jenen Namen getragen, wie später die Heldin in ihrem Fernsehfilm. In high sierra flieht der von Humphrey Bogart gespielte Gangster Roy Earle vor der Polizei in die Berge. Als er den Hund seiner geliebten Marie hört, möchte er ihr entgegeneilen, wird dabei aber von einem Scharfschützen erschossen und stürzt von den Felsen. Später fragt die verzweifelt neben ihm kniende Marie die anwesenden Polizisten, was eigentlich der Ausdruck »crashing out« bedeute, jener Ausdruck, den Roy Earle immer gebraucht hatte. Damit sei gemeint, absolut frei zu sein, gibt man ihr zur Antwort. Beseelt von dieser Idee erhebt sich denn auch Ida Lupino und vollführt selber ein »crashing out«: Immer wieder diese Worte murmelnd und den Blick verträumt in die Ferne gerichtet, schreitet sie an der Kamera vorbei aus dem Bild. So erweist sich »crashing out« als amerikanische Übersetzung von Lacans passage à l’acte: Abgang von der Szene, das suizidale Austreten ins hors-champ. Es scheint, als wiederhole sich dieses Ende in Lupinos Fernsehfilm, bei dem ja bereits der Titel no. 5 checked out an die Losung »crashing out« aus high sierra erinnert. Und doch ist der Unterschied zwischen den beiden Filmen entscheidend. Denn wo bei Walsh sich die von Ida Lupino gespielte Marie von der Aussicht eines »crashing outs« ins hors-champ verführen lässt, bleibt die taube Mary in Lupinos eigenem Film an ihrem Platz am See sitzen.
Was in ihrem Rücken, in ihrem hors-champ geschieht, kümmert sie nicht. Solch ein Ende mag tragisch wirken, wenn wir es aus der Perspektive des sterbenden Mannes betrachtet. Vielleicht aber geht es gerade darum, dieses Ende nicht aus diesem, sondern aus dem Blickwinkel der Frau zu lesen. Der Mann mag ins hors-champ abtreten um dort zu sterben, pathetisch, tragisch. Mutiger aber scheint die Frau, die bleibt. Auf sich selbst gestellt. Im Bild.
In ihrem Nachwort zu Barbara Johnsons letztem Buchprojekt, das zugleich ebenso ein Abschiedsschreiben an die kurz zuvor verstorbene Literaturwissenschaftlerin darstellt, beschreibt Soshana Felman Johnsons feministische Lektüre-Praxis als Prozess konstanter Hinterfragung und schließlich auch der Sprengung der Grenzen von etablierten (männlich dominierten) Machtfeldern: »[These] institutional, restrictive boundaries Johnson keeps challenging, exploding, and expanding, by bringing the humanity of its outside inside, into the center of her teaching and her studies. She systematically protects and emphatically includes all groups that are implicitly, politically excluded from the (pseudo-universal) definitions of civilization (by virtue of their race, class, sexuality, or gender).« Als solch eine feministische Kämpferin der Inklusion, die sich nicht auf einen Platz ins Außerhalb verweisen lässt, sondern vielmehr hartnäckig versucht, das Ausgeschlossene ins Innere zu bringen, wäre auch Ida Lupino zu verstehen und ihre Kadrage als feministisches Statement.
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