in: Ute Holl, Matthias Wittmann (Hg.): Memoryscapes. Filmformen der Erinnerung. Zürich-Berlin: Diaphanes 2014, S. 181-198. ✺
Abstract: Auch wenn die Begriffe gerne verwechselt werden, sind »Unterbewusstsein« und »Unbewusstes« doch eigentlich Gegensätze. Denn während »Unterbewusstsein« eine räumliche Hierarchie und mithin eine saubere Trennung von Bewusstsein und Verdrängtem impliziert, geht es dem Freudschen Begriff des Unbewussten gerade darum, eine derartige Separierungen fundamental in Frage zu stellen. Der Film freilich, der schon seinem Namen nach nichts anderes ist als eine Oberfläche, führt diese Verschränktheit von Bewusstem und Unbewusstem schlagend vor, ist doch im Kino die Wiederkehr des Verdrängten immer nur einen Schnitt weit entfernt. In Filmen wie Edward Dmytriks »Mirage« oder im Finale von Martin Scorseses »Gangs of New York« zeigt sich das filmische Medium als Erinnerungsfläche, auf der Unbewusstes und Wahrgenommenes aufeinanderstoßen, mit verblüffendem Effekt.
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Das Psychoanalysieren mag auf Seiten der Filmkritiker in Verruf gekommen sein, die Filmemacher aber scheint das nicht zu beirren. So hat erst vor kurzem Christopher Nolan mit seinem SciFi-Thriller Inception die menschliche Psyche dezidiert zur shooting location deklariert. Der Film erzählt von einer Terroristenzelle, die sich in die Gehirnwindungen ihrer Opfer einschleust, um dort verdrängte Geheimnisse auszugraben oder umgekehrt ihren Probanden unbewusste Erinnerungen einzupflanzen, die diese eigentlich gar nie hatten. So wird im postmodernen Actionkino fingiertes psychisches Material zur Kofferbombe der Zukunft. Doch der Anführer dieser Neo- und Neuro-Guerrilleros, durchforstet dabei nicht nur fremde, sondern mit Vorliebe auch seine eigenen mentalen Erinnerungsräume und dies vorzugsweise per Lift. Und selbstverständlich gibt es in diesem Aufzug, der die verschiedenen Schichten seines psychischen Apparats verbindet, auch jenen obligaten verbotenen Knopf, der direkt in die traumatischsten Tiefen des Seelengehäuses führen soll. B wie Basement steht da auf dem Knopf – das Kellergeschoss der Psyche.
Spätestens hier aber entpuppt sich der von der Kritik so euphorisch für seine Intelligenz gelobte Film als schockierend simplistisch. So aufwändig die filmische Inszenierung der Psyche als Wohnhaus, in dessen untersten Etagen besonders heikles Erinnerungsmaterial eingekellert ist, auch ausfällt: sie erweist sich als Banalisierung. Mit der Freudschen Psychoanalyse jedenfalls hat diese Art der Verräumlichung von Psychischem wenig zu tun. Dass es denn hier nur scheinbar um Psychoanalyse geht, zeigt allein schon die inflationäre Nennung und aufdringliche Visualisierung des Begriffs subconscious. Spätestens mit diesem Begriff hat der Film seinen psychoanalytischen Kredit verspielt, funktioniert der Ausdruck des Unterbewusstseins doch seit jeher als Schibboleth, an dessen Verwendung man die blossen Pseudo-Freudianer erkennt. Oder in den Worten des Historikers Peter Gay formuliert: „when [the term subconscious] is employed to say something ‚Freudian‘, it is proof that the writer has not read his Freud.“
Tatsächlich wird Freud diesen Begriff – nachdem er ihn in seinen frühesten Arbeiten mitunter noch selber benutzt – in seinen Schriften verschiedentlich kritisieren. Besonders deutlich geschieht dies etwa in seinem Aufsatz «Die Frage der Laienanalyse » von 1926:
«Wenn jemand vom Unterbewusstsein spricht, weiss ich nicht, meint er es topisch, etwas, das in der Seele unterhalb des Bewusstseins liegt, oder qualitativ, ein anderes Bewusstsein, ein unterirdisches gleichsam. Wahrscheinlich macht er sich überhaupt nichts klar. Der einzig zulässige Gegensatz ist der zwischen bewusst und unbewusst.»
Das Unbewusste der Psychoanalyse, so wird zu zeigen sein, befindet sich nicht in einem sauber abgetrennten Reservoir unterhalb des Bewusstseins. Vielmehr schwabbt das Unbewusste unentwegt ins Bewusstsein hinein, überschwemmt und verdrängt dieses mitunter. Genau das impliziert denn auch Freuds, im selben Aufsatz und nur wenige Zeilen zuvor benutztes Bild von der Psyche als einem Kriegsschauplatz, wo es heisst:
«…es gelten im Ich andere Regeln für den Ablauf seelischer Akte als im Es […] Denken Sie an den Unterschied zwischen der Front und dem Hinterland, wie er sich während des Krieges herausgebildet hatte. Wir haben uns damals nicht gewundert, dass an der Front manches anders vorging als im Hinterland, und dass im Hinterland vieles gestattet war, was an der Front verboten werden musste.»
Schon das hier angesprochene psychische Modell mit Es und Ich beinhaltet eine Ausweitung des Unbewussten. Denn im Gegensatz zu Freuds früherer Topik und deren Unterscheidung zwischen Bewusstem, Vorbewusstem und Unbewusstem beschränkt sich in diesem zweiten Modell das Unbewusste nicht mehr auf einen Ort allein, sondern zeitigt überall, wenn auch in unterschiedlichem Masse seine Wirkung: Während das Es vollständig dem Unbewussten unterstellt ist, sind auch dem Ich (wie auch dem hier nicht erwähnten dritten Term des Über-Ich) unbewusste Anteile eigen.
Doch abgesehen davon, vermischen sich in obigem Beispiel auch noch zusätzlich die Instanzen des unbewussten Es und des grösstenteils bewussten Ich. So sehr Freud sie als distinkte Regionen voneinander abzusetzen scheint, so verunsichernd ist doch in Wahrheit seine Analogie. Denn die Kriegslandschaft ist ja eine, die in konstanter Transformation begriffen ist: Im Krieg kann Land sich rasch in Front verwandeln, so wie umgekehrt die Front dereinst wieder friedliches Land werden wird. Nimmt man Freuds Analogie ernst, so hiesse das mithin, dass auch Bewusstsein und Unbewusstes direkt aneinander stossen, ineinander übergehen, sich gleichsam auf derselben Ebene befinden.
In eben diese Richtung geht denn auch Jacques Lacan mit seiner Re-Lektüre der Freud’schen Theorie: Statt im Innern des Subjektes vergraben zu sein, nistet das Unbewusste im Bewusstsein selbst und dessen Prozessen, macht sich erst als Fehler, als Riss, Bruch und Lücke mitten in diesem drin bemerkbar, genau so, wie die Versprecher, die sich nicht jenseits der Sprache ereignen, sondern in ihr und durch sie hindurch. So meint denn auch Lacans ebenso berühmte wie kryptische Formel, das Unbewusste sei der Diskurs des Anderen, nichts anderes: Statt im Inneren des Subjekts vergraben zu sein, kommt das Unbewusste vom Anderen her. Das Unbewusste ist nie bei einem selber, sondern begegnet und bezwingt uns in Form jener Phänomene und Diskurse, die uns umgeben. «Das Unbewusste […] ist draussen.»
Dasselbe lässt sich samt und sonders auch für den Diskurs der Ästhetik und deren Phänomene behaupten. Auch sie fungieren als jene Äusserlichkeiten in denen und durch die man dem Unbewussten erst begegnet. Die Psychoanalyse Freuds und Lacans sieht somit das Kunstwerk nicht als blossen Ausfluss einer ominösen inneren psychischen Konstellation. Wenn schon, dann ist vielmehr umgekehrt die Strukturierung Psyche als deren sekundärer Effekt zu verstehen. Ästhetische Phänomene dienen der Psychoanalyse nicht als blosse Analogie, vielmehr buchstabiert die Psychoanalyse nur nach, was die Kunstwerke ohnehin schon machen. Somit wäre denn auch jener immer wieder behauptete Gegensatz zwischen einer nah am filmischen Material operierenden und einer von der psychoanalytischen Theorie inspirierten Filmanalyse in Wahrheit gar keiner. Die von Seiten des Neoformalismus vorgebrachte Kritik, die psychoanalytische Filmtheorie unterschlage die Komplexität eines Films und degradiere ihn zum blossen Demonstrationsgegenstand einer vorgefassten Theorie, ist nicht das Problem jener, die es mit der Psychoanalyse zu ernst, sondern zu wenig ernst meint. Eine psychoanalytische Filmtheorie, welche diesen Namen tatsächlich verdient, kann mithin nicht anders als materialorientiert zu sein. Denn die Kunstwerke – so hat etwa Jacques Rancière überzeugend argumentiert – werden bei Freud nicht den Theoremen der Psychoanalyse unterworfen, vielmehr ist umgekehrt das Denkregime der Psychoananlyse erst möglich, in Anlehnung und Nachbildung eines Denkens, welches bereits dem Kunstwerk inne wohnt. So kann es denn auch einer psychoanalytische Filmlekture nicht darum gehen, ihr Wissen dem Kino aufzupropfen, sondern hat vielmehr zu zeigen, wie klug das Kino selber schon immer war.
So wusste auch der amerikanische Film schon längst um die Äusserlichkeit, ja Oberflächlichkeit des Unbewussten. Zwar mag das im derart so auf seine eigene Intellektualität bedachten Werk eines Christopher Nolan vergessen gegangen sein. Das angeblich so naiven Genrekino etwa eines Edward Dmytrik aber war da viel hellsichtiger.
Dessen wenig bekannter Thriller Mirage von 1965 erzählt die Geschichte des von Gregory Peck gespielten David Stillwell, der – offenbar in Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis – von merkwürdigen Reminiszenzen heimgesucht wird, was ihn schliesslich dazu zwingt, die eigene verdrängte Erinnerung zu entbergen.
Zu Beginn des Filmes ahnen indes weder die Zuschauer noch der Protagonist etwas von der psychischen Destabilisierung, mit der unser Held für den Rest Erzählung zu kämpfen haben wird. Vielmehr sehen wir, wie er sich während eines Stromausfalls in einem Bürohochhaus in Manhattan zu orientieren versucht. Mit einer Taschenlampe in der Hand geht Stillwell das dunkle Treppenhaus hinunter und begegnet dort einer Frau, die ihn zu kennen vorgibt. Im Erdgeschoss angekommen, rennt die Frau davon, weitere Treppen hinunter, der Mann ihr hinterher. Und im Schein der Taschenlampe sehen wir an der Wand die Etagenbezeichnungen vorüberziehen: SUB 1, SUB 2, SUB 3, SUB 4 … so lange, bis der Mann seine Verfolgungsjagd aufgibt (# Abb. 1).
Doch als unsere Hauptfigur nur wenige Augenblicke in das Bürohaus zurückkehrt um sich erneut auf die Suche nach der rätselhaften Frau zu machen, sind diese Kellerstockwerke plötzlich nicht mehr zu finden. Unversehens ist die Treppe zu Ende (# Abb. 2). Nichts ist zu finden ausser dem Heizungsraum des Hochhauses und in diesem ein finster dreinblickender Hauswart, der zum verblüfften Stillwell meint, es gebe in diesem Gebäude weder weitere Treppen noch zusätzliche Untergeschosse. Natürlich spricht der Mann die Wahrheit, auch im übertragenen Sinne: Die vemeintlichen Kelleretagen des Unterbewusstseins erweisen sich nur als Trick der Psyche, als Illusion, die das Subjekt abschirmen soll, vor der ungleich verstörenderen Einsicht, dass es einen geschützten Lagerraum für verdrängte Erinnerungen nicht gibt. Das Separee des Archivs existiert nicht. «This is it!» sagt der Hauswart kurz angebunden, was sich auch psychoanalytisch lesen lässt. Der unbewusste Bereich des Es ist nicht woanders, ist nicht einige Etagen unter dem Bewusstsein, sondern immer schon da: This is IT.