Acting Glitch: Eine Szenenanalyse aus „The Congress“

filmbulletin 8 (2015), S. 44-45 ///

glitchGlitch – der Begriff macht Karriere, bezeichnet er doch all jene kleinen Störfälle in elektronischen Systemen, die umso häufiger werden, je allgegenwärtiger die Elektronik uns umgibt. Der Sprung im Programm; das farbige Rädchen, das sich dreht; das Bild auf dem Schirm, das ruckelt, gefriert, sich verfärbt, verläuft und sich fragmentiert in einzelne Pixelzeilen, der Ton, der für einen kurzen Moment und aus unerklärlichen Gründen stottert, klirrt, brummt und rauscht: wir alle kennen das Phänomen. Der Ausnahmefall des Glitches gehört längst zu unseren alltäglichen Erfahrungen.
Dabei birgt der scheinbare Defekt hohes Erkenntnispotential. Wenn der Glitch bedeutet, dass der Fluss des Signals ins Stocken gerät, so macht er uns damit auf diesen Fluss überhaupt erst wieder aufmerksam. Im Glitch gibt sich das elektronische System als sich selbst zu erkennen und materialisiert sich. Vormals ungreifbare Daten scheinen Körper von Gewicht zu werden, wenn sie sich zu Farbschlieren verklumpen oder in unseren Ohren pfeifen. Glitches machen nicht zuletzt klar, dass die störungsfreie Übertragung nur eine Möglichkeit unter anderen ist, nicht mal die wahrscheinlichste. Denn ohnehin sind Signal und Rauschen, wie man bei Claude Shannon und Friedrich Kittler nachlesen kann, ohne einander nicht zu haben. Nicht nur, dass bei jeder Übertragung zwangsläufig immer auch der Übertragungskanal sein Rauschen dazugibt, das Signal selbst kann aufgefasst werden, als selektiertes Rauschen. So wie eine Skulptur entsteht, indem man sie aus dem ungestalten Felsblock herausschält oder man Wörter bildet, indem man aus dem chaotischen Buchstabensalat die richtigen Elemente auswählt, so resultiert auch das Signal indem man das Rauschen auf bestimmte Weise organisiert und filtert. Oder anders gesagt: Wo noch Rauschen ist, hat man bloss das Signal noch nicht genügend herausgehört.
Der Glitch wäre mithin jener Moment, wo der Abstand zwischen Signal und Rauschen zusammenbricht und beides irritierend aneinander stösst. Der Glitch macht sich bemerkbar, als Moment wo Signal in Rauschen abstürzt und zugleich umgekehrt der rauschende Kanal sich selber signalisiert. Der Glitch ist Botschaft und Störung zugleich.
In Ari Folmans <The Congress> wird der erfolglosen Filmschauspielerin Robin Wright (gespielt von der tatsächlichen Schauspielerin Robin Wright) ein letztes Angebot unterbreitet, nämlich ihren Körper digital scannen zu lassen und die Rechte an diesem Scan ihrem Filmstudio abzutreten, die so in Zukunft Filme mit ihr in der Hauptrolle machen kann, ohne dass sie noch je selbst vor der Kamera stehen müsse. Folmans Film wird sich bald zur klaustrophobischen Zukunftsvision einer komplett hinter Sinnesmanipulationen verschwundenen Welt auswachsen. Dieser Einstieg indes ist heute bereits keine Science Fiction mehr. Der Körperscanner, in welchen Robin Wright nach der Vertragsunterzeichnung klettern wird, ist keine Attrappe, sondern existiert in Hollywood bereits. Motion Capture und CGI gehören längst zu Standardverfahren der Filmindustrie. Das Inszenieren von Schauspielern ohne dass diese tatsächlich anwesend zu sein brauchen, ist heute technisch bereits möglich.
Um sie zu überzeugen, führt Robins Manager seiner Mandantin denn auch einen Film auf DVD vor, der bereits mit dieser neuen Technik gemacht sein soll. Die darin auftretende Actrice habe nie wirklich vor der Kamera gestanden, sondern sei eigentlich nichts als eine Computeranimation basierend auf den Daten ihres Körperscans. Die Illusion ist verblüffend perfekt. Oder zumindest fast, wie Robin und ihre Familie bald bemerken. Ein merkwürdig ruckartiges Zwinkern am linke Auge der Darstellerin auf dem Fernsehschirm verrät, dass da etwas nicht stimmt. Am unnatürlichen Zucken im Gesicht der Schauspielerin verrät sich ihre digitale Natur. Das Zwinkern – das ist der Glitch, an dem sich die Elektronik zeigt, als Dysfunktion. Die Störung wird Signal, sie zeigt an, was technisch Sache ist.
Wo bleibe die Wahlfreiheit der Schauspieler, wenn sie die Bilder ihres Körpers an den Computer und dessen Simulationen abtreten, fragt Robin ihren Manager empört, worauf dieser ausruft, dass eine solche Freiheit ohnehin nie existiert habe. „Du warst immer deren Puppe. Sie alle, die Regisseure und Produzenten, haben Dir gesagt, was Du zu tun hast, wie Du Dich zu verhalten und wie Du zu spielen hast. All die zu Tode gelifteten Frauen, die nicht mehr lächeln, die keine Gefühle, keinen Schmerz mehr zeigen können, hatten die eine Wahl? Die Computer haben uns gerettet.“ Und dann zeigt die Kamera uns das Gesicht von Robin Wright in Grossaufnahme, wie sie den Worten ihres Managers zuhört. Und wir sehen, wie die Schauspielerin Robin Wright blinzelt, zweimal. Nicht so unnatürlich, wie ihre digitale Kollegin auf dem Bildschirm aber doch merkwürdig genug, dass es den ganz genau hinschauenden Betrachter zu verunsichern vermag. Ist das Blinzeln echte Körperreaktion oder digitale Animation. Ist die Schauspielerin, die sich gegen ihre eigene Ersetzung durch einen digitalen Avatar stemmt, vielleicht selbst nur eine Computersimulation, das verbesserte Modell, die zweite Generation nach jenem Prototyp, den wir eben auf ihrem Fernseher haben zwinkern sehen? Ist Robin Wrights Zwinkern unbeabsichtigte Kontraktion ihrer Lider oder ein Ruckeln des Films? Physiologischer Effekt oder digitaler Defekt? Gewiss habe wir es mit einem Glitch zu tun, fragt sich nur ob es einer des Körpers oder der Technik ist.
In seinen Vorlesungen über den Filmschnitt zieht der Cutter Walter Murch eine Analogie zwischen Montage und Blinzeln. Das menschliche Auge, so Murch, montiert eigentlich die ganze Zeit indem es blinzelt und so die Umgebung in separate Eindrücke zerstückelt. Der Filmschnitt entpuppt sich für ihn letztlich als Weiterführung menschlicher Wahrnehmung mit anderen Mitteln. Für Murch repräsentiert die Technik des Schnitts das menschliche Blinzeln. In <The Congress> hingegen stellt sich das Verhältnis genau umgekehrt dar: menschliches Blinzeln zeigt Technik an. Im Glitch des Zwinkerns tauschen realer Körper und digitale Simulation die Plätze. Und so ist denn auch die Kritik am Illusionismus der digitalen Medien, welche Ari Folmans Film so scheinbar vehement vorbringt, in Wahrheit gar nicht so eindeutig. Vielleicht geht es dem Film nur teilweise darum, eine angeblich authentische Humanität gegen die Fälschungen des Digitalen zu verteidigen. Die untersuchte Szene führt uns vielmehr vor, wie einseitig eine solche Medienkritik wäre. Gerade das Phänomen des Glitches beweist, dass digitale Technik nicht einfach in ihrer Funktionalität aufgeht, sondern Unberechenbarkeit und Eigenwille aufweist. Die Freiheit, sich anders zu verhalten, als von den Filmstudios vorgesehen, welche Robin Wright im Gespräch mit ihrem Manager so pathetisch einfordert, diese Freiheit hat sich die Computertechnik bereits herausgenommen: auch sie macht nicht ganz das, was von ihr erwartet wird, sie ist gestört. Nicht nur Menschen zwinkern. Die Technik tut es auch. Im Glitch treffen sie sich.

The Congress 00:19:23–00:23:31
Regie & Buch: Ari Folman
Kamera: Michal Englert
Schnitt: Nili Feller
Animation: Yoni Goodman
Musik: Max Richter
Darsteller: Robin Wright, Paul Giamatti, Harvey Keitel, Jon Hamm, Danny Huston,