Bastardkinder. Zur Wiederentdeckung der frühen TV-soap „PEYTON PLACE“

in: Cargo 24 (2014) S. 65-67 ///

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„Funny thing. In movies there’s always an ending. A happy one or a tragic one. But in real life, people have to go on living, getting older. They become middle-aged and utterly uninteresting, and still they have to put up with one another.“ So sagt Allison MacKenzie zu ihrer Mutter Constance in der 28. Episode von «Peyton Place», jener Serie, die als erste amerikanische TV-soap opera in die Fernsehgeschichte eingehen und die von 1964 bis 1969 über insgesamt 514 Folgen hinweg auf dem US-Sender ABC laufen sollte. Dabei zeigt die zitierte Szene, wie ungerecht der in den letzten Jahren aufgekommene Mythos ist, das amerikanische Serienfernsehen habe eigentlich erst dank dem sogenannten Quality Television von HBO und mittels Meisterwerken wie «The Wire» oder «The Sopranos» Intelligenz bewiesen. Tatsächlich belegt man mit solch einer Apologie der Serie nur einmal mehr die eigene Ignoranz. Allison MacKenzies Worte beweisen, dass offenbar die amerikanische Serie schon seit ihrer Frühzeit zur komplexen Reflexion fähig ist. Denn natürlich räsoniert die Protagonistin hier nicht nur über den Unterschied zwischen dem Kino und dem Leben, sondern im selben Zug auch über die Differenz zwischen Film und Fernsehen. Während es im Kino immer auf ein, wie auch immer geartetes Ende hinauslaufen muss, basiert die Dynamik der Fernserie gerade in der Vermeidung solch einer Teleologie und sucht stattdessen das potentiell endlose Weiterspinnen und Wiederholen vertrauter Muster, auch auf die Gefahr hin – auch in dieser Hinsicht ist Allison hellsichtig – dereinst nur noch Langeweile zu produzieren. Dass «Peyton Place» in dieser Szene auch über die eigene Form und deren Abstand zum Vorgängermedium des Kinofilms nachdenkt, ist umso offensichtlicher angesichts der Besetzung. Denn während wir Allison MacKenzie Mia Farrow in ihrer ersten Rolle sehen, wird Allison‘s Mutter von Dorothy Malone gespielt, die wir aus den Melodramen Douglas Sirks kennen – zwei Darstellerinnen also, die exemplarisch für zwei Epochen der amerikanischen Filmindustrie stehen: Farrow, die spätere Ikone von New Hollywood mimt die Tochter einer der letzten Repräsentantinnen des Classical Hollywood. Und auch sonst dreht sich das Gespräch zwischen den beiden alsbald um Fragen der Genealogie: Wie anders das immer weiter gehende Leben wohl verlaufen wäre, wenn der Vater noch lebte, fragt Allison ihre Mutter und holte dabei dessen Fotografie vom Kaminsims und dreht sie versonnen in den Händen. Die Mutter fingert derweil scheinbar geistesabwesend an jener Kerze herum, die vor ihr auf dem Tisch steht. Hat man sie erst bemerkt, erscheint diese Geste umso obszöner, wenn man die Ähnlichkeit mit jener berüchtigten Schlussszene aus Douglas Sirks «Written on the Wind» erkennt, in welcher dieselbe Dorothy Malone den Miniatur-Ölbohrturm auf dem Pult ihres verstorbenen Vaters umfängt. Auch wer sonst nicht überall Phallussymbole sehen mag, kann hier schlechterdings nicht anders. Die Potenz des Vaters muss auch nach dessen Tod noch aufrecht erhalten bleiben, erigiert. Doch, das ist die heimliche Pointe der entsprechenden Szene aus «Peyton Place»: der Mann auf der Fotografie ist gar nicht Allisons Vater, so werden wir Zuschauer ein paar Episoden später erfahren. Das Andenken über dem Kamin zeigt nur das Bild eines wildfremden Mannes, eine blosse Täuschung, Deckerinnerung. Und Allison selber, das fleissigste Mädchen der Klasse, ist ein Bastard. Als illegitime Tochter eines abwesenden Vaters entpuppt sie sich mithin als ideale Hauptfigur einer Serie, deren sämtliche narrativen Stränge nur immer wieder vom Gleichen erzählen, von untreuen, abwesenden, impotenten Vätern und verlorenen, verstossenen, illegitimen Kinder. Hinter den sauberen Fassaden nur lauter kaputte Familien.
„Pater semper incertus est“ so lautet bei Freud die Losung der Neurotiker, die sich für ihrem wunscherfüllenden Familienroman neue Eltern andichten. Der Vater könnte immer auch der Falsche sein. War das ohnehin schon immer der Stoff, aus dem das Melodrama, welches man bekanntlich auch Bastardgerne, gemacht ist, so kriegt diese Be- und Hinterfragung des Vaters in «Peyton Place» einen medientechnischen Dreh versetzt: Wo der unsicher gewordene Vater nur Fotografie zugegen ist, geht es unweigerlich auch um die Fotografie selbst als Vatermedium, als einem der Vorläufer, aus dem der Film und mithin Fernsehen geboren wurden. Doch so wie sich alle Väter in «Peyton Place» als fragwürdig erweisen, ist auch die mediale Genealogie, in welche die Serie sich einreiht, unklar geworden.
„Peyton Place ist brought to you by…“ so verkündet es zu Beginn jeder Episode jeweils die Voice-Over-Stimme, um daraufhin den jeweiligen Sponsor zu nennen. Kool Cigarettes, Stärkungsmittel Geritol und ähnliches. Die Frage aber bleibt. „Peyton Place is brought to you by…“ – Wo kommt die Fernsehserie her? Das scheinen sich mithin auch die Figuren zu fragen, wenn sie übers Kino sprechen und Fotografien betrachten. Und in ihrer Verunsicherung spiegelt sich auch der noch ungewisse Status der frühen Fernsehserien, diesen bis heute kaum anerkannten Bastardkindern der Filmkultur.
«Peyton Place» sei nicht einfach eine soap im Stile der britischen Serie «Coronation Street», sondern vielmehr ein „high-class anthology drama“ liess sich ihr Produzent Paul Monash zum Serienstart zitieren. Offensichtlich war man darum bemüht, das verdächtige Genre der Fernsehserie zu adeln. Die Vorlage für die Serie, war denn auch der gleichnamige Roman von Grace Metalious aus dem Jahr 1956, der grösste Bucherfolg, in der ganzen amerikanischen Literaturgeschichte, der selbst den Bestseller «Gone With the Wind» weit überflügelte. Man macht auf Hochkultur. Ob Mutter Constance MacKenzie deswegen in der Serie, im Unterschied zur Buchvorlage, keinen Kleider- sondern einen Buchladen führt? Und ob deswegen so viel Wind gemacht wird um Allisons Talent als Schriftstellerin? Es ist, als wollte die Serie mit allen Mitteln ihre gute Herkunft beweisen und dabei macht sie doch eigentlich nichts anderes, als in ihren Stories und deren Inszenierung solche Versicherungen des eigenen Ursprung unentwegt zu demontieren. So wird sich die Serie denn auch immer weiter von ihrer literarischen Vorlage entfernen, bis sie am Ende nur noch den Titel und einige der Figurennamen mit Roman gemein hat. In Gesprächen wird der Produzent Monash denn auch eingestehen, das Buch von Grace Metalious gar nicht besonders zu schätzen. Kein Wunder haben Literaturkritiker darum in dieser Fernsehserie vor allem einen Verrat an der Vorlage gesehen. Und natürlich haben sie recht mit ihrem Vorwurf. Doch zeigen sich gerade in diesem Verrat der Anspruch und die Komplexität von «Peyton Place», die entgegen der Werbung eben nicht ein „high-class anthology drama“ ist, eben nicht Fortsetzung der Literatur mit fernsehtechnischen Mitteln, wie das heute manchen als Qualitätssiegel gilt, sondern in seinen besten Momenten ein Bastard von ganz ungewisser Herkunft.
Wenn in der 43. Episode Allisons leiblicher Vater, nach all den Jahren da er gefehlt hatte, unverhofft zurückkehrt, kommt es im Wohnzimmer der MacKenzies auch zu einer Begegnung zwischen ihm und der Fotografie des Pseudo-Vaters. Sie würden sich gegenseitige Aufrichtigkeit schulden, beschwört der Heimgekehrte unter den Augen seines falschen Stellvertreterbildes seine frühere Geliebte Constance. Für diese aber hat sich die Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch längst verwischt. Sie habe die Lüge schon so oft wiederholt, meint sie selber mit Blick auf das Foto, dass sie diese unterdessen selber glaube. Damit spricht sie nur aus, was auch für den Fernsehzuschauer in den Sechziger Jahren längst schon Sache ist: auch für ihn ist die erfolgreiche Fernsehserie längst das Buch verdrängt. Der illegitime Nachkomme hat das Original ausgelöscht, von dem er abstammte. Da nutzt es auch nicht, wenn der echte Vater verzweifelt die falsche Fotografie vom Kaminsims fegt. Seine Geste bleibt vergeblich und lächerlich. Nicht das Bild, sondern er selbst und seine zur Schau getragene Potenz ist fake, eine Charge. Wenn Allison in der unmittelbar folgenden Episode nachhause kommt und das beschädigte Bild bemerkt und es zärtlich streichelt, bringt sie es auf den Punkt: „We must never let anything happen to this picture, because if something did, it would be like he never existed at all.“ Sie habe immer so aussehen wollen, wie ihr Vater. Aber natürlich tue sie das nicht, meint Allison dann noch zu ihrer Mutter. Und fügt an: „But of course I don‘t really look like you either.“ Ein bemerkenswerter Nachsatz. Nicht nur die paternalen, auch die maternalen Abstammungsverhältnisse sind ungewiss geworden. Im neurotischen Familienfotoroman von «Peyton Place» ist die Herkunft immer nur eine Fiktion, die man sich von Episode zu Episode neu erzählt, ein blosse Fabrikation. Wir sehen endlosen Wiederholung eines Ursprungs zu, den es gar nie gab. So tendiert schliesslich die Fernsehserie in ein reines Spiel der Zeichen, der angeblichen Väter und Mütter und deren Deutungshoheit entzogen.
Drum erscheint auch das Projekt des amerikanischen Dichters David Trinidad gar nicht mehr so absurd, der für seinen, im vergangenen Jahr veröffentlichten Lyrikband «Peyton Place: A Haiku Soap Opera» jede einzelnen der 514 Episoden, wie auch die beiden, in den Siebziger und Achtziger Jahren entstandenen Fernsehfilmen in Form eines Haiku verewigte. Diese knappste Gedichtform der Welt, bestehend aus drei Zeilen à fünf, sieben und fünf Silben, stellt gleichsam so etwas wie einen Nullpunkt des sprachlichen Ausdrucks dar. Reine Form, losgelöst von der Herrschaft des Sinns. „Der Haiku hat die Reinheit, die Sphärenhaftigkeit und die Leere einer Note» schreibt Roland Barthes «und vielleicht ist das auch der Grund, weshalb er zweimal gesagt wird, wie mit einem Echo versehen. Das Echo, das weder Besonderheit noch Tiefe beansprucht, zieht lediglich einen Strich unter die Nichtigkeit des Sinns“. Als Haiku, als Echo seiner selbst, als primäre Wiederholung ohne Anfang und Ziel kommt «Peyton Place» zu sich. Den grossen dramaturgischen Bogen und die allmähliche Enthüllung eines finalen Sinns überlässt die Serie seinen Vorfahren. Sie hingegen macht einfach weiter:

Lies, secrets, gossip
and fucked-up families make this
black-and-white world tick.
(David Trinidad)

©Johannes Binotto

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