Die einschüchternde Erotik der Charlotte Rampling.

[Stadtkino Basel, Programmheft November 2014]

Als Vincent mit Marie, der Witwe, in die er sich verliebt hat, zum ersten Mal schläft, seinen nackten Körper auf ihren legt und in sie dringt, da beginnt sie plötzlich zu glucksen, zu lachen. «Entschuldigen Sie bitte, aber Sie sind zu leicht», sagt die Frau ihrem irritierten Liebhaber. Maries Gatte, der während des gemeinsamen Urlaubs an der Atlantikküste plötzlich im Meer verschwunden ist, war ein Schwergewicht gewesen – der Neue ist es nicht. Treffend wie nur selten zeigt diese Szene aus François Ozons Sous le sable, dass die schmerzhaften Erinnerungen an einen verlorenen Menschen mit Vorliebe dort aufblitzen, wo man sie nicht erwartet: aufgrund eines banalen Details und im unpassendsten Moment. Darüber hinaus aber macht die Szene anschaulich, welche Verunsicherung von dieser Frau ausgeht, die plötzlich lacht, wo sie doch stöhnen sollte, und den Mann in ihrem Bett so mit einem Schlag unbeholfen und lächerlich dastehen lässt. Kein Wunder, scheinen sich auch die anderen Figuren um sie herum immer ein wenig vor ihr zu fürchten. Sie alle spüren, dass sie dieser Frau und ihrem Eigensinn, der aus ihrem Blick, ihrer Stimme, aus jeder Muskelfaser ihres Körpers spricht, nicht gewachsen sein werden. Ja, sogar der Tod selbst scheint vor ihr zu kuschen: Als man Marie die Leiche ihres Gatten präsentiert, schüttelt sie den Kopf. Das ist er nicht, sagt sie. Widerrede duldet sie nicht und auch der Film lässt ihr ihren Willen.

 

Dieser Film über den Tod ist gleichzeitig der Moment einer Wiedergeburt. In den Jahren vor Sous le sable schien die Schauspielerin Charlotte Rampling selbst vermisst gegangen zu sein, verschwunden unter dem Sand, um dann mit dieser Parforce-Leistung umso eindrücklicher wieder aufzutauchen, mit einem Film, in dem sie in jeder einzelnen Szene zu sehen ist  das filmische Denkmal für eine Darstellerin, gegen die man nicht ankommt. So dominiert sie selbst noch jene Filme, in denen sie gar nicht die Hauptrolle spielt, wie in Alan Parkers delirierendem Angel Heart oder in Sidney Lumets bedrückendem Gerichtsthriller The Verdict. Als hassende Industriellengattin in Dominik Molls alptraumhaftem Lemming ist sie nur im ersten Teil zu sehen, doch nach ihrem Auftritt ist nichts mehr so, wie es war. Selbst wenn sie nur steif und stumm am Esstisch ihrer Gastgeber sitzt, scheint es, als gehe von ihrer schieren Präsenz eine geradezu geologische Erschütterung aus, ein Erdbeben, das in die Figuren und deren Illusionen Risse schlägt, bis alles einstürzt. Und wenn sie dann spät abends den Ingenieur aus der Firma ihres Gatten verführen will, schüttelt es den Zuschauer vor Angst. Die erotischen Avancen sind erregend und einschüchternd gleichermassen. «Sie können mit mir machen, was Sie wollen», sagt sie dem Verwirrten ins Gesicht. Doch das Angebot ist eine Falle, die versprochene Unterwerfung nichts als eine Täuschung. In Wahrheit  das spüren er und wir sofort  hat sie in diesem Moment bereits mehr mit dem jungen Mann angestellt, als dieser mit ihr je tun könnte. Unbeschadet, so viel ist klar, wird er diese Begegnung nicht überstehen.

 

So wird einem im Nachhinein noch einmal bewusst, warum ein Film wie Liliana Cavanis Il portiere di notte nur mit Charlotte Rampling in der Hauptrolle funktionieren konnte. Die skandalöse Geschichte um eine KZ-Überlebende, die im Wien der Nachkriegszeit ihrem einstigen Folterer wiederbegegnet und sich erneut in eine sadomasochistische Liebesbeziehung mit ihm stürzt, wäre mit jeder anderen Schauspielerin nur unerträglich gewesen, eine weitere, ekelerregende Ausbeutung der Geschändeten. Dieser Schauspielerin allein gelingt es mit ihrer blossen Präsenz, die Situation umzudrehen und zu zeigen, wie die scheinbare Opferfigur in Wahrheit alles, selbst ihren Peiniger im Griff hat. Die Masochistin ist des Folterers Herrin.

 

«The Look» hatte ihr Partner in dem Film, Dirk Bogarde, diese Ausstrahlung Charlotte Ramplings genannt, was denn auch als Titel gewählt wurde, für das Filmportrait, welches 2011 über sie gedreht wurde. The Look  das sind ihre einzigartigen Augen, stählern und fast verschwindend hinter den Lidern, die immer lauernd zu blicken scheinen, gefährlich wie bei einem Tier und dabei auch auf merkwürdige Weise ironisch, gleichgültig. The Look  das ist ihr Mund, schmallippig und hart, wie ein Strich, der selten lacht, manchmal lächelt, hämisch grinst. The Look  das ist die Schauspielerin als Sphinx, begehrenswert, beängstigend, undurchschaubar, wie in der griechischen Mythologie, wo die Sphinx den Reisenden Rätselfragen stellt und sie verschlingt, wenn sie die Antwort nicht wissen. Kaum zu glauben, dass man Charlotte Rampling am Anfang ihrer Karriere in Swinging London nur unbedarfte Mädchen spielen lassen wollte, «dollybirds», wie sie es selber ausdrückt. Doch zum Naivchen taugt sie nicht. Stattdessen geht sie Ende der Sechziger nach Italien und spielt in La caduta degli dei, Luchino Viscontis bildgewaltigem und umstrittenem Portrait des dekadenten Nazideutschlands.

 

Seither sucht sie die gefährlichen Rollen, vor denen die anderen zurückschrecken; spielt noch als Sechzigjährige in Vers le sud eine Sextouristin auf Haiti und Jahrzehnte zuvor geht sie als Diplomatengattin in Nagisa Ôshimas Max mon amour mit einem Schimpansen ins Bett. Ôshimas böse Farce mit ihren Anklängen an Buñuel (dessen Weggefährte Jean-Claude Carrière hatte das Drehbuch mitverfasst) ist als amüsante Abrechnung mit dem Snobismus der Bourgeoisie gedacht. Bei den Liebesszenen aber zwischen Rampling und dem Affen vergeht einem doch das Lachen. Die Bilder, wie sich die beiden küssen, bleiben verstörend  nicht nur für den Gatten im Film. Und so wird man denn auch unsicher, ob Woody Allen sich nicht ein wenig selbst überschätzt, wenn er in Stardust Memories die Rampling als seine Muse inszeniert. Fast wirkt sie eine Nummer zu gross für ihn. Wenn er sie streichelt, schaut sie lange an ihm vorbei, mysteriös schmunzelnd, und sogar noch wenn die beiden nackt unter der Dusche stehen, scheint sie sich ihm lachend zu entziehen. So kommt mit ihr eine faszinierende Schwermut in den Film, eine Abgründigkeit, die Stardust Memories uneben erscheinen lässt, aber gerade dadurch noch gelungener. Der Regisseur ist sich dieser Kraft seiner Darstellerin freilich bewusst: Am Höhepunkt des Films lässt er sie direkt in die Kamera sprechen, so wie das sein grosses Vorbild Ingmar Bergman gemacht hätte, in einer Folge von hart aneinander geschnittenen Shots. Spätestens dann hat man vergessen, dass man einen Woody-Allen-Film schaut. Aus Stardust Memories ist ein Charlotte-Rampling-Film geworden. Und auch wer meint, François Ozons brillanter Thriller Swimming Pool drehe sich um die verführerische 20-Jährige, die mit ihren Reizen allen Männern den Kopf verdreht, sieht sich alsbald getäuscht. Wir hatten immer die Falsche im Blick. Die Frau, die eigentlich alle Fäden zieht, ist Rampling als alternde Schriftstellerin, die alles nur von aussen zu beobachten scheint mit ihrem ironischen, scharfen Blick. Sie ist die eigentliche Femme fatale, die alle und alles ins Verderben reisst. Gegen sie, so wird uns der Film später zeigen, nimmt sich das junge Mädchen nur noch wie ein unbeholfenes Kind aus. Und selbst ein mit allen Wassern gewaschener Winkeladvokat wie der von Paul Newman gespielte Frank in Sidney Lumets The Verdict hat gegen sie keine Chance. Ob er ihr Spiel am Ende tatsächlich zu durchkreuzen vermag? Lumets Film tut nur so, als gebe er eine eindeutige Antwort darauf. In Wahrheit bleibt alles ungelöst, zu ungewiss ist der Ausgang, wenn man sich auf Charlotte Rampling einlässt. Dass man obsiegt, ist wenig wahrscheinlich. Das wissen auch die beiden erwachsenen Kinder, deren sterbende Mutter sie in The Eye of the Storm spielt. Noch auf dem Totenbett wirkt die Matriarchin stärker als ihre Nachfahren, überwältigend, einschüchternd. Wovor sie Angst habe, wurde Charlotte Rampling unlängst in einem Interview des französischen Fernsehens gefragt. Sie schweigt lange und man spürt, wie der Interviewer hinter der Kamera ihrem Blick nicht standhalten kann. Es verwundert nicht, dass ihr nichts einzufallen scheint, wovor sie sich fürchtet. Und wenn, dann nur «die Angst selbst», wie sie nach langem Nachdenken sagt. War da ein ironisches Lächeln um ihren hart geschlossenen Mund? Es ist nicht zu sehen. Und sie wird es uns nie verraten.

©Johannes Binotto

http://www.stadtkino.ch

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