in: KINOK (St. Gallen) Programmheft (Juli/August), S. 47-50. ///
War da ein Schatten hinter dem Kamin? Schwingt sich eine Gestalt über die Balustrade? „Watch your legend grow, the rooftops are for dreamers, down below, what do any of those loser know? You’re the best jewel thief in the world!“ so besingt Paddy McAloon auf seinem jüngsten Album „Crimson/Red“ die mythische Figur des Meisterdiebs. Die nächtlichen Dächer stehen den Träumern offen, denen, die es unten bei den Verlierern nicht mehr aushalten. Im Gegensatz zu uns Feiglingen ist der Meisterdieb einer, der sich aufschwingt über alles, im konkreten genau so wie im übertragenen Sinn. Unsere Gesetze gelten für ihn nicht mehr, weder jene der Schwerkraft, noch die der Moral. Imposant thront er über den Häusern der Stadt, wie das Verbrechergenie Fantomas, der auf den Plakaten für die Stummfilme von Louis Feuillade riesenhaft in Frack, Zylinder und schwarzer Maske über Paris kauert.
Kein Wunder hat das Kino, auf dessen Leinwand die Helden unweigerlich überlebensgross erscheinen, seit Anbeginn seiner Geschichte ein besonderes Faible für die Figur des Meisterdiebs gezeigt. Von Feuillades stummen Fassadenkletterern bis zu den eleganten Filmganoven der Gegenwart hat der Meisterdieb nie aufgehört, den Film heimzusuchen und mit seiner Beute auch die Fantasien der Zuschauer zu kapern. Die Erfolgsgeschichte ist freilich kein Wunder, ist doch der Meisterdieb eine filmische Figur par excellence. Die kinetische Energie, von der das Kino seinen Namen hat, ist dieselbe, die auch den Fassadenkletterer beseelt. Betrachtet man etwa den Anfang von Alfred Hitchcocks „To Catch a Thief“ in welchem die geschmeidigen Bewegungen einer Katze in der Nacht nahtlos übergehen in die Bewegungen einer schwarzen Hand, die im Luxushotel unter die Kopfkissen der Gäste greift, um die dort verborgenen Kleinode hervorzuziehen, wird man merken, wie hier das Gleiten der Kamera mit den gleitenden Gesten Überfalls zusammenfällt. Der Ganove, der sich tänzerisch von Ort zu Ort, von Schatz zu Schatz schleicht, er ist nichts anderes als die Personifizierung des Filmapparats selbst, der sich ebenfalls nicht bezähmen kann und von Motiv zu Motiv, von Szene zu Szene gleitet, um sich dabei seine Bilder zusammenzustehlen. Damit sind die ersten Minuten von Hitchcocks Film nicht nur eine Lektion im Diebstahl, sondern zugleich auch im virtuos verdichteten filmischen Erzählen.
Es ist mithin auch kein Zufall, dass sich die Filme um Meisterdiebe mit Vorliebe in engen Zeiträumen abspielen, meist mit einem in Echtzeit geschilderten Überfall im Zentrum. Jules Dassin, der bereits mit seinem Film „Du rififi chez les hommes“ von 1955 das Genre des Überfallfilms definiert hat und dort nicht weniger als einen Viertel des gesamten Films allein für die Schilderung eines Einbruchs verwendete, konzentriert sich auch in seinem komödiantischen „Topkapi“ ganz auf den grossen Coup und dessen intensive Vorbereitung. Die Handlung von Jacques Beckers „Touchez pas au grisbi“ schliesslich erstreckt sich gar über nicht mehr als nur drei Tage. Während die Nerven der Schurken aufs Äusserste gespannt sein müssen, leben auch ihre Filme von der Konzentration, vom Zusammenzug. Wo der Einbrecher jede seiner Bewegungen genau kalkulieren muss, weil schon der kleinste Fehler ihn Kopf und Kragen kosten würde, wählt auch der Film jedes seiner Bilder mit Bedacht. So wird beispielsweise im hyperstilisierten „Bound“ der Wachowski-Geschwister jede einzelne Einstellung zum Coup, den es zu zelebrieren gilt. Die bis zum äussersten gesteigerte Aufmerksamkeit, welche die beiden Heldinnen des Films brauchen, um die Mafia zu übertölpeln und dieser ihre Millionen abzuluchsen, überträgt sich auch auf die Gestaltung des Films selbst: alles so intensiv bis man es fast nicht mehr aushält.
Und doch ist bei aller Intensität der Darstellung der Meisterdieb-Film selten auf geradliniges Erzählen aus. Um von A nach B zu gelangen wählt das Genre nie den kürzesten Weg. Denn so wie der Dieb die Regeln der Ökonomie verletzt, indem er illegal in die Zirkulation der Werte eingreift, den Geldfluss umleitet in seine eigene Tasche, so gehorchen auch die Filme nicht dem Prinzip der Folgerichtigkeit. Vielmehr gerät im Genre des Meisterdieb-Filmes auch die Story auf Abwege, die Handlung wird ent-wendet, buchstäblich. Steven Soderberghs „Out of Sight“ um den ausgebufften Bankräuber Jack Foley mit der in ihn verliebten Polizistin auf seinen Fersen, lebt davon, wie der Film immer wieder überraschend abbiegt, in der Zeit vor und zurück springt, sich verliert, sein Ziel aus dem Blick zu verlieren scheint – out of sight – und sich dann doch unversehens wieder findet. Endgültig wird Genre hier zum Experimentierfeld ungeregelter Narration. „Die Kanäle der Medien, die Techniken der Kommunikation zerschneiden, unterbrechen, verteilen, vermischen und neu anordnen“ so beschreibt Michel Serres in seinem Buch „L’interférence“ die Medienphilosophie, welche sich in einem Tim und Struppi Abenteuer, wie jenem um die gestohlenen Juwelen der Sängerin Castafiore verbirgt. Serres Worte können indes auch als Motto für das Meisterdieb-Genre schlechthin dienen. Es geht um die diebische Lust, Verwirrung zu stiften, zu ver-führen, im Wortsinn. Entsprechend entpuppt sich denn auch ein brillanter Coup wie in Ronald Neames „Gambit“ nur als Täuschung des Betrachters und statt von Anfang an, rollt der Film seine Geschichte vom Ende auf. Der riskante und verblüffende Schachzug, das Gambit von dem der Titel spricht, ist eigentlich ein Schachzug gegen den Zuschauer, den es zu verwirren und dadurch zu verführen gilt. Auch die Trickdiebe in Fabián Bielinskys „Nueve reinas“ haben es eigentlich auf uns als ihre Opfer abgesehen.
David Mamet, einer der virtuosesten Taschenspieler unter den amerikanischen Drehbuchautoren führt in seinem grandiosem „Heist“ immer wieder vor unseren Augen vor, wie die Tricks funktionieren, mit denen die Diebe ihre Opfer ausnehmen und am Ende gehen wir doch dem Film restlos auf den Leim. Der Dieb im Kino erteilt uns eine Lektion, er führt uns vor Augen, wie borniert und beschränkt wir eigentlich sind.
Wie radikal der Meisterdieb auflöst, was wir zuvor als gesichert wahrgenommen haben, hat unlängst Spike Lee mit „Inside Man“ gezeigt. Da überfällt eine Räuberbande eine Bank und nimmt dabei alle Besucher und Mitarbeiter als Geiseln. Doch in dem sie die Geiseln in immer neue Gruppen aufteilt und sich unter diese mischt, hat alsbald niemand mehr den Überblick, wer Freund, wer Feind, wer Dieb und wer Bestohlener ist. Für den Aktivisten Spike Lee ist dieser geniale Schachzug der Durchmischung freilich auch als Metapher für den Kampf gegen den Rassismus in Amerika zu verstehen. Die simple Aufteilung in Weiss und Schwarz, in Bürger erster und Bürger zweiter Klasse, wie sie das Land so gerne vornimmt, kann nicht funktionieren. Die Verhältnisse sind viel zu kompliziert, als dass man sich anhand rassistischer Schemata orientieren könnte. Und wer es trotzdem tut, wird dabei garantiert in die Irre gehen. So wie in „Inside Man“ die Polizei letztlich einsehen muss, dass es keine Marker gibt, anhand derer sie die Diebe eindeutig identifizieren könnte, so verlieren auch Rassen-Klischees jeglichen Sinn. Es ist ein sagenhafter Coup, der Spike Lee hier versucht: im Überfall auf die Bank geht es nur scheinbar um das Geld in den Tresoren, tatsächlich aber will der Regisseur die Stereotypen in den Köpfen seiner Zuschauer ent-wenden.
So bleiben wir in unseren Sitzen zurück, verwirrt, getäuscht und doch befriedigt ob den Verführungen des Meisterdiebes, während dieser über die die Dächer davonhuscht. Zusammen mit dem Film hat der Dieb sich bereits wieder verflüchtigt, hat sich selbst davon gestohlen und lässt nichts zurück, als leere Schatullen und leere Leinwände. „Sirens moan and drone. They groan, / But Interpol can’t catch you / Their cameras only show a screen of snow / Ergo – You’re the best jewel thief In the world“.