Blitze in memoriam: Don’t Torture a Duckling

Filmbulletin #5(2016), S. 54-55 ///Fulci

Nachdem der als Kindermörder entlarvte Priester Don Alberto dabei überrascht wird, wie er gerade versucht, ein weiteres Opfer, ein kleines Mädchen, von den Felsen des süditalianischen Städtchens zu werfen, kommt es zum Zweikampf mit seinen Verfolgern. Und schliesslich stürzt der Mörder selber in den Abgrund. Es ist ein schrecklicher Tod. Während sein Körper in die Tiefe fällt, sehen wir in Zeitlupe, wie sein Gesicht gegen die Felsen schlägt, wie es an den Steinen aufplatzt und zerrissen wird, bis der Priester schliesslich, blutig entstellt in der Wiesen unter den Felsen zu liegen kommt.

Berüchtigt ist die Szene und exemplarisch, für jene ausufernden Darstellungen körperlicher Verstümmelung, für die der Regisseur Lucio Fulci berühmt und dabei unweigerlich auch immer wieder Gegenstand der Zensur werden sollte. Der ekelerregend detaillierte Anblick einer Zerstörung des menschlichen Gesichts – das ist der Höhepunkt, auf den Fulcis Kino immer wieder zuläuft, seien es die ausgerissenen Augen in „The Beyond“ oder der von Maden zerfressene Untoten-Schädel in „Zombi 2“, der es selbst aufs Kinoplakat geschafft hat. Reinigende Katharsis entblösst sich bei Fulci als faziale Verunstaltung. Wer sich beim Betrachten von seinen Filmen also schockiert die Hände vors Gesicht schlägt, verhält sich damit paradox imitierend.

Die Szene des zu Tode stürzenden Priesters aus dem Giallo „Non si sevizia un paperino“, eineinhalb Minuten lang, liefert indes für Fulcis späteren Exzesse nicht nur eine erste Vorlage, sondern transzendiert die späteren Imitationen bereits. Denn was einem eigentlich und buchstäblich ins Auge stechen sollte an dieser bizarren Szene ist weniger der mehr oder weniger gelungene Schockeffekt, als vielmehr ein merkwürdiges Detail daran. So sehen wir nämlich, wenn der Kopf des Priesters an den Felsen aufschlägt, wie dieser Zusammenprall von Fleisch und Stein Funken schlägt. Der Blitz einer Explosion ist deutlich im Bild zu sehen, jedes mal, wenn die Haut vom Schädel gerissen wird. Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesem Blitz um das Entzünden jener Sprengladungen handelt, die der Tricktechniker „Squibs“ nennt und mit denen man in Film-Schiessereien den Einschlag von Pistolenkugeln fingieren kann (man sehe sich die Schlussszene von „Bonnie and Clyde“ an). So wäre dieses Detail in „Non si sevizia un paperino“ nichts anders als ein fehlgeschlagener Trick, genauso fadenscheinig wie der fallende Priesterkörper, den auch ein nur durch den Spalt seiner Finger blickender Zuschauer sofort als Stuntpuppe erkennt. Naturalistische Darstellung, wie sei bei den Fans des Genres so gerne als Beurteilungskriterium auf Splatterhorror angelegt wird, sucht man hier vergebens. Die Feuerblitze auf dem Gesicht des sterbenden Mörders sind zweifellos alles andere als realistisch, lassen sich dadurch aber umso besser als verblüffende Metapher lesen für das was die Filmerzählung in diesem Moment gerade macht. Denn während der Killer zu Tode stürzt, zeigt der Film uns in Rückblenden, was den Priester zu seinen Taten veranlasst hat: weniger eine sadistische Lust, als vielmehr im Gegenteil sein Glaube, die Kinder vor den Fallen der sexuellen Versuchung und damit vor dem ewigen Fegefeuer bewahren zu müssen, indem er sie im Zustand ihrer kindlichen Reinheit tötet. Um uns das klar zumachen, sehen wir im Gegenschnitt zu seinem Todessturz, die Erinnerungen des Priesters, wie sie noch einmal, als innerer Film, an ihm vorbeiziehen, sehen die Bilder seiner einstigen Vertrautheit mit den Kindern, sehen seine Erinnerung an das Gebet der Kinder, nachdem sie bei ihm zur Beichte waren, an sein gemeinsames Fussballspiel mit ihnen und wie sie sich umarmten, aber auch an den Mord an einem der Kinder, dem er mit einem Stein den Hinterkopf eingeschlagen hat, um es anschliessend und in Tränen in sein Gebet aufzunehmen.

„Flash backs“ nennt die Filmterminologie bekanntlich solche eingeschnittenen Erinnerungsbilder. Die Bildhaftigkeit des Begriffs sollte einen aufmerken lassen. Back with a flash. Memorias Reise in die Vergangenheit ereignet sich mit einem Blitz. Tatsächlich signalisiert das Kino solche Einbrüche der Erinnerung gerne in Form von jenen Kurzbildern, die ebenfalls den Blitz im Namen führen: „flash frames“. Diese sind traumatisch im Wortsinne: sie machen Löcher. „Als störende Ein-Fälle und Zwischenräume werden die Flash Frames zu Aus-Setzern der Diegese“ heisst es dazu in Matthias Wittmanns jüngst vorgelegter Theorie des Kinos als einer Erinnerungsmaschine. Wenn in Sidney Lumets „The Pawnbroker“ der Holocaust-Überlebende von seinen Erinnerungen an das Lager heimgesucht wird, zeigt der Film dies in Form von plötzlich auftauchenden Blitzbildern. Die unverfügbare Erinnerung präsentiert sich als Un-Fug im Filmablauf. Zugleich aber erinnert sich der Film bei solchen Blitzbildern nur wieder seiner selbst und daran, dass er selber ja aus lauter Kurz-Bildern gemacht ist. „Vor allem in dieser Hinsicht erschliessen Flash Frames Verschlossenes: Sie lassen nicht nur auf ein Geheimnis schliessen, das in der Vor-Geschichte der Figuren liegt, sondern lassen auch die verdrängte Basis des Films für einen kurzen Moment aufblitzen.“

Die Szene aus Lucio Fulcis „Non si sevizia un paperino“ ist darum so faszinierend, weil sie diesen Blitz der Erinnerung, der sonst zwischen den Bildern stattfindet, nun ins Bild selbst hineinnimmt. Der Flash findet im Frame selbst statt. Er ist damit Teil des Bildinhalts und mithin der Erzählung und sprengt diese doch zugleich. Sieht Matthias Wittmann im flash frame eine „montagetechnische Störung, die die Trennschärfe zwischen bios und techné, Mensch und Maschine ganz besonders eindrucksvoll kollabieren lässt“ dann scheint Fulci diese gegenseitige Durchdringung sogar noch wörtlicher zu nehmen. Der flash back erweist sich hier als Pyro-Technik, die nicht auf einer Metaebene, sondern direkt auf dem Körper abgefackelt wird. An der Erinnerung verbrennt sich der Priester sein Gesicht. Dass diese erinnerten Bilder ihrerseits lauter Gesichts-Entstellungen zeigen – von den in den gefalteten Händen vergrabenen Gesichtern der betenden Kinder, des Kopfballs im Fussballspiel oder des eingeschlagenen Hinterkopfs bei einem der Opfer – ist dabei von zusätzlicher Ironie. Diese Analogien unterstreichen nur nochmal, wie sehr sich der mit dem Kopf gegen den Felsen schlagende Killer auch noch in seiner finalen Erinnerung mit den Kindern identifiziert. Was freilich in Wirklichkeit vor unseren Augen sich abspielt, ist die stetige Des-Identifikation des Priesters mit seinen Opfern. Je länger der Sturz dauert, umso mehr verwandelt sich das vormals tatsächlich jungenhafte Antlitz des Priesters in eine immer noch unkenntlicher werden Fratze. Am Ende wird die Leiche des Priesters nicht mal mehr mit sich selbst identifizierbar sein.

Wenn die Erinnerung Montage praktiziert, indem sie Gegenwart und Vergangenheit nahtlos aneinander schneidet, dann führt Fulci vor, wie explosiv solch ein Zusammenstoss ausfallen kann. Statt vereinheitlichend wirkt die Montage als schmerzhafte Sprengung, die man nicht nur intellektuell, sondern viszeral am eigenen Leib verspürt. Genau das aber hat schon Sergej Eisenstein mit „Montage der Attraktionen“ gemeint. Und wer dabei nie an Lucio Fulci gedacht hat, der sei auf jene Stelle in Eisensteins Aufsatz verwiesen, wo dieser als Beispiel für jene unmittelbare sinnliche und psychologische Erschütterung des Zuschauers, um die es bei der Attraktionsmontage geht, auf die Schauwerte des Grand-Guignol-Theater verweist: „mit Augenausstechen oder dem Abschlagen von Händen und Füssen“. Das ist die Tradition, in welcher Fulcis Film stehen und dass bei diesen Zerstückelungen auch um filmische Erinnerung geht, zeigt uns „Non si sevizia un paperino“. Die Erinnerung bricht ein als verstümmelnder Blitz. Die entstellten Toten erinnern uns daran.

Non si sevizia un paperino (It 1972) 01:39:35-01:41:00
Regie: Lucio Fulci
Buch: Lucio Fulci, Roberto Gianviti, Gianfranco Clerici
Kamera: Sergio D’Offizi
Schnitt: Ornella Micheli
Musik: Ritz Ortolani
Darsteller (Rolle): Florinda Bolkan (La Maciara), Thomas Milan (Andrea Martelli), Irene Papas  (Dona Aurelia Avallone), Marc Porel (Don Alberto Avallone).