Brennender Stern, Loch im Film. Über und gegen GONE WITH THE WIND

Filmbulletin 7.19, S. 18-19 ///

Die Überblendzeichen zeigten einst den Projektionist_innen an, wann der Rollenwechsel ansteht. Die Digitalisierung hat sie überflüssig gemacht – scheinbar. Denn manchmal kommen sie wieder, auf Video zum Beispiel, und machen Brüche sichtbar, die das Kino ansonsten nur allzu gerne kittet.

Wenn wir erzählen, wir hätten einen bestimmten Film gesehen, werden wir nur selten danach gefragt, in welchem Format wir ihn gesehen haben. So wie wir davon ausgehen, dass der Text eines Romans derselbe bleibt, egal ob wir ihn statt als gebundenes Buch, auf losen Manuskriptseiten oder auf unserem Tablet lesen, so scheinen wir auch zu glauben, ein Film bleibe derselbe, wenn seine Formatierung wechselt. Tatsächlich aber, so hat die Filmhistorikerin Barbara Klinger argumentiert, verändern die unterschiedlichen Arten, wie ein Film konsumiert werden kann, nicht nur uns eigenes Erleben des Films, sondern auch diesen selbst. Statt stabile Objekte zu sein, werden Filme vielmehr für die sich verändernden Vorführbedingungen umgestaltet und angepasst, sodass man eigentlich von unterschiedlichen Adaptionen sprechen müsste. Ob Digital Cinema Package oder analoge 35mm-Kopie, VHS-Kassette, Fernsehübertragung, DVD, BluRay oder Youtube-Stream – sie alle zeigen nicht einfach jedes mal denselben Film, sondern vielmehr jeweils eine neue Version, die sich von den anderen teilweise frappierend unterscheidet. 

Dabei können gerade auch die unterdessen als minderwertig geltenden Formate einen ganz besonderen Reiz entfalten. Auf einer wiedergefundenen VHS-Kassette von «Gone With the Wind» etwa entdecke ich jenen Moment, der mich als Jugendlichen, als ich diesen Film das erste mal am Fernsehen sah, bereits verblüfft hat, den man aber heute in den mit grösster Akribie erstellten hochauflösenden Restaurationen des Films vergeblich sucht. Es ist eine Szene zur Mitte des vierstündigen Films, wenn die Protagonistin, Scarlett O’Hara, auf ihre vom Bürgerkrieg zerstörte Plantage Tara zurückkehrt. Es ist Nacht, als Scarlett vom Fuhrwerk springt, dessen Pferd gerade tot zusammengebrochen ist und freudig ausruft, wieder Zuhause zu sein. Scarlett Gesicht ist nur ein schwarzer Fleck, so wie die Wolke am Himmel, hinter der sich der Mond versteckt. Da zieht die Wolke vorüber, der Mond wird sichtbar und in seinem Schein leuchtet nun auch Scarletts Gesicht hell auf. Kein Wunder prägt sich dieser Moment ein, ist er doch ganz auf Beeindruckung ausgelegt: das vom Mond beschienene Gesicht der Hautdarstellerin Vivien Leigh kriegt einen jener Close-ups, der sie zum Star deklariert. Aber war da nicht noch etwas anderes zu sehen? Ist da nicht neben dem Gesicht des Stars nicht noch etwas anderes aufgeleuchtet kurz davor, ein anderer Star, buchstäblich? Ein vielzackiges Sternchen war da zu sehen, ganz kurz nur, rechts oben in der Ecke des Filmbildes. 

«Cue mark» oder «Überblendzeichen» – so nennt man solche Markierungen, die früher im analogen Kinobetrieb dazu dienten, den Operateur_innen in der Vorführkabine anzuzeigen, wann eine Filmrolle zuende geht, damit sie bereits den Projektor mit der zweiten Rolle laufen lassen und so für einen nahtlosen Wechsel zwischen den Filmrollen sorgen konnten. Als in die Filmkopie gestanzte Löcher oder mit Farbe aufgemaltes Zeichen, waren diese Dreiecke, Kreise, Ringe oder eben auch Sternchen somit nicht ans gewöhnliche Publikum, sondern ausschliesslich ans technische Personal adressiert. Aufgefallen als mysteriöse Symbole sind sie dem aufmerksamen  Publikum mitunter trotzdem und haben seine Fantasien angeregt, ehe dann die Überblendzeichen im Zuge der Umstellung von analoger auf digitale Projektion endgültig unnötig geworden und aus den Filmen verschwunden sind. In Filme, die ab Festplatten statt ab Rollen laufen, braucht man keine Endmarkierungen mehr einzukratzen. Taucht das Überblendzeichen gleichwohl noch auf, dann allenfalls in ironischer Form, wie in David Finchers «Fight Club», wo an einer Stelle die Hauptfigur mit dem Finger auf das Zeichen in der rechten oberen Ecke hinzeigt, sozusagen als selbstreflexiver Meta-Kommentar darüber, wie Finchers Film mit den medialen Ebenen spielt. Oder aber es findet eine neue Funktion, wie in den Found-Footage-Arbeiten des britischen Künstlers Dave Griffiths, der Filmausschnitte mit Überblendzeichen sammelt und zu grandiosen Collagen aneinandereiht. In der Filmrestauration indes sind die Überblendzeichen weniger gern gesehen, sondern gelten – da sie nachträglich und nicht aus ästhetisch-konzeptionellen, sondern allein aus betriebstechnischen Gründen hinzugefügt wurden – als Verunstaltungen, die es zu eliminieren gilt. Und so sind denn auch die Überblendzeichen von «Gone With the Wind» im Zuge seiner Wiedervermaktung fürs cinephile Publikum aus dem Film verschwunden, vom Winde verweht. In der alten, schummrigen Videokopie indes, die man heute auf keinem Flohmarkt mehr verkaufen kann, da sind sie noch zu finden, die blitzenden Sterne und machen den Film noch kostbarer, als er von seinem grössenwahnsinnigen Produzenten David O. Selznick intendiert gewesen war: Denn das aufblitzende Überblendzeichen fügt sich verblüffend vielsagend in die nächtliche Szene. Unweigerlich erinnert die Szene mit ihrer Parallelmontage von Wolke, Mond und Gesicht mit aufgerissenen Augen nämlich an die wohl berühmteste Avantgarde-Sequenz der Filmgeschichte aus Luis Buñuels und Salvador Dalís «Un chien andalou» wo ein von Wolken verdeckter Mond mit einem von einem Rasiermesser bedrohten Frauengesicht zusammengeschnitten wird. Doch was bei Buñuel und Dalí der Schnitt des Messers durchs Auge ist, ist in «Gone With the Wind» die Punktierung des Filmaterials selbst durch das Überblendzeichen. Buñuels und Dalís Angriff aufs Auge sollte als Schockmoment auch das Publikum im Saal treffen, blieb dabei aber trotzdem noch innerhalb der filmischen Fiktion. Das aufblitzende Überblendzeichen von «Gone With the Wind» ist subtiler und zugleich radikaler, weil dadurch die Filmhandlung selbst einen Riss bekommt: Etwas, was nicht zur filmischen Erzählung gehört, sondern bloss nachträglich auf dem Trägermaterial des Films angebracht wurde, wird nun gleichwohl im Filmbild drin sichtbar und tritt in Dialog mit den anderen Elementen, ohne dass der Produzent des Films das beabsichtigt hätte. Matthias Wittmann schreibt über Dave Griffiths Found-Footage-Filme und über das Überblendzeichen im Allgemeinen: «Was in der «reel world» dazu bestimmt gewesen war, als Bildmarginalie den reibungslosen Betrieb zu garantieren, hielt an seinem Recht fest, noch einmal gross in Erscheinung treten zu dürfen, um sich nachhaltig ins Bild und ins Bewusstsein zu brennen.» Und so brennt auch das Überblendzeichen von «Gone With the Wind» ein Loch ins Monumentalmelodrama und stört damit dessen allzu reibungslosen Konsum. Die rassistische Geschichtsklitterung, die der Film mit seiner romantischen Verklärung der Südstaaten betreibt, kriegt einen Sprung. Der zur Warnung vor dem Rollenwechsel dienende schwarze Stern wird zum Index auch für andere Holprigkeiten. Das Überblendzeichen blendet ein, was sonst ausgeblendet wird: nämlich nicht nur, dass dieser Film aus verschiedenen Filmrollen zusammengesetzt ist, sondern dass auch das von ihm kolportierte Geschichtsbild eine zusammengestückelte und ziemlich löchrige Konstruktion ist. 

Und ist es nicht wunderbar, dass ausgerechnet dieses Prestigeobjekt mit dem Selznick im Hollywood der späten Dreissgerjahre produktionstechnische Massstäbe setzte am interessantesten ist, wenn man es sich als Videoversion ansieht – in einem Format, das in naher Zukunft gar nirgendwo mehr aufzutreiben sein wird? So wie das angeblich überholte Überblendzeichen ist auch das angeblich überholte Videoformat vielleicht gar nicht so obsolet wie wir meinen, sondern wird gerade dann kostbar, wenn angeblich bessere Formate es ersetzen. Als eigenständige Adaption bewahrt die VHS-Kassette, was dem Filmgedächtnis im Zuge seiner Restaurierung abhanden kommt. 

«Gone With the Wind» (USA 1939) 01:35:20 – 01:35:30
Regie: Victor Fleming; Produktion: David O. Selznick; Drehbuch: Sidney Howard; Kamera: Ernest Haller; Schnitt: Hal C. Kern, James E. Newcom; mit Vivien Leigh (Scarlett O’Hara), Clark Gable (Rhett Butler), Leslie Howard (Ashley Wilkes).