Instabile Verbindungen: Zur Explosivität kurz(geschlossen)er Filme

 

Journal der Kunsthochschule für Medien Köln #7 (Dezember 2016), S. 3-9 ///

khmKunstwerke basierend auf quantitativen Eigenschaften zu sortieren, ist eine Idee, die einem etwa so plausibel vorkommen muss, wie den Zoologen jene legendäre Liste bei Jorge Luis Borges, welche Tiere nach folgenden Kategorien einteilt:  Tiere die „a) dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere“ bis zu Tieren „die von weitem wie Fliegen aussehen“. Auch in der Kunstgeschichte sortiert man Gemälde für gewöhnlich nicht nach ihrer Breite oder nach ihrer Anzahl von Quadratzentimetern.

Der Begriff „Kurzfilm“ hingegen scheint genau dies zu tun, nämlich die Dauer eines Films als hinreichendes Kriterium zu dessen Klassifikation zu nehmen. Das ist umso fragwürdiger, da ja „Kürze“ ein offensichtlich relativer Begriff ist, was dazu führt, dass an Festivals sowohl sogenannte Ultrashorts von gerade mal 5 Sekunden Länge wie auch 40-minütige Spielfilme unter der Bezeichnung „Kurzfilm“ laufen können. Vorschläge, wie etwa jener Richard Raskins, den „short film“ abzugrenzen von dem, bei ihm als „novella film“ bezeichneten Kurzspielfilm, wirken da nur bedingt eingrenzend. Die Liste dessen, was Kurzfilm alles sein kann, ist auch so noch viel zu lang.

Freilich besteht gerade in dieser Unschärfe der Bezeichnung auch ein Vorteil und wahrscheinlich macht die Möglichkeit, unter ein und demselben Namen gänzlich Unvergleichbare zusammentreffen zu lassen, gerade den eigentlichen Reiz des Kurzfilms aus. Michel Foucault hat bekanntlich die Liste bei Borges als Beispiel eines Ausbruchs aus unseren sprachlich formatierten Denkordnungen genommen und mithin als das, was bei ihm „Hetereotopie“ heißt. Und so ließe sich auch der Kurzfilm, gerade in seiner Uneinheitlichkeit, als Heterotopie des Films bezeichnen, als anderer Schauplatz, wo „die Codes der [Film-]Sprache, der Perzeption und der Anwendung kritisiert und teilweise außer Kraft gesetzt“ werden.

Geht es mir also darum, am Kurzfilm diesen Zusammenbruch von Codes zu betonen, so möchte ich ihm einen anderen Begriff zur Seite stellen, den des „Kurzschlusses“. Wenn es mir sinnvoll scheint, auch weiterhin am problematischen Begriff des Kurzfilms festhalten, dann nur, wenn wir im „Kurzfilm“ immer auch den „Kurzschluss“ mit hören.

So wie in jenem enigmatischen Schluss- und zugleich Anfangsbild von Christoph Girardets und Matthias Müllers Loop „Manual“ von 2002, wo zwei Drähte sich berühren (ein Bild übrigens, das es gewiss nicht zufällig auch auf das Cover des Buches kurz + klein zum 50-Jahr-Jubiläum der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen geschafft hat) bezeichnet man mit Kurzschluss in der Elektrotechnik eine widerstandslose Verbindung der beiden Pole einer elektrischenSpannungsquelle.

abb_1_manual

Dabei wird freilich paradoxerweise gerade der fehlende Widerstand zum Problem, an dem man sich die Finger verbrennt. Wo der Widerstand fehlt, funktioniert die Maschine paradoxerweise nicht etwa reibungsloser, sondern fliegt vielmehr in die Luft. Kurzschlüsse erhöhen nicht die Effizienz, sondern verursachen Zusammenbrüche. Und in eben diesem Sinne möchte ich auch den Kurzfilm verstehen, nicht unbedingt als kurzen, sondern vielmehr als kurzgeschlossenen Film – als Film, der die Codes der Filmsprache demontiert, indem er sie ausreizt. Der kurzgeschlossene Film bringt die filmischen Regeln in Aufruhr, dadurch dass er die Elemente seines Codes widerstandslos und somit explosiv verdrahtet: die Bilder mit den Bildern, das Akustische mit dem Visuellen, die Bewegung mit dem Stillstand.

Zwei Gewährsmänner, auf die man sich berufen kann, bei dem Versuch, eine Theorie des kurzgeschlossenen Films zu skizzieren, sind einerseits (und offensichtlich) Sergej Eisenstein mit dessen Begriff des Konflikts, sowie andererseits (und etwas weniger offensichtlich) Sigmund Freud mit dessen Konzept des Traumas.

Beginnend bereits mit seinem Theater-Text zur „Montage der Attraktionen“ von 1923 positioniert Eisenstein den Film als ein Medium der Aggression und der Erschütterung, dessen Potential davon abhängt, wie sehr es ihm gelingt den Zuschauer durch Konfrontation mit Bildern in Aufruhr zu versetzen. Stromschläge, wie sie beim Kurzschluss als Unfall entstehen, sind für Eisenstein angestrebtes Ziel der Filmkunst. Geht es bei der Attraktionsmontage zunächst also darum, den Widerstand zwischen Darstellung und Publikum zu durchbrechen und so gleichsam die Zuschauer mit der Vorführung kurzzuschließen, verlagert Eisenstein dieses Prinzip des Kurzschlusses alsbald auch in die filmische Darstellung selbst hinein. So fasst Eisenstein in seinem Text „Jenseits der Einstellung“ die Montage selbst als bewusst herbeigeführten, schockartigen Zusammenstoß:

„Was kennzeichnet die Montage und folglich auch ihren Embryo, die Einstellung? Ein Zusammenprall. Der Konflikt zweier nebeneinanderstehender Abschnitte. Konflikt. Zusammenprall.“

Und es ist diese Betonung des Konfliktpotentials des Films, ob welchem es denn auch zum Konflikt und Zusammenstoß zwischen Eisenstein und Wsewolod Pudowkin kommt:

„Als Zögling der Kuleschowschen Schule verteidigte er [Pudowkin] eifrig den Montagebegriff als Kopplung von Abschnitten. Zu einer Kette. „Ziegelsteine“. Ziegelsteine, die in Reihen einen Gedanken darlegen. Ich hielt ihm meinen Standpunkt über die Montage als Zusammenprall entgegen. Ein Punkt, an dem durch Zusammenprall zweier Gegebenheiten ein Gedanke entsteht.“

Wenn Pudowkin von Kopplung spricht, so geht er freilich davon aus, dass diese Kopplungen einen zwischengeschalteten Widerstand beinhalten. Genau so, wie auch in der von ihm gebrauchten Metapher der aneinandergereihten Ziegelsteine stillschweigend der sie verbindende Mörtel mitgedacht werden muss, ohne den eine so gebaute Mauer ja unweigerlich zusammenbrechen müsste. Eisenstein hingegen will die Ziegelsteine nicht länger sauber aneinanderkleben, sondern vielmehr aufeinander hauen, in der Hoffnung, dabei Gedanken-Funken schlagen zu können. Auch Eisenstein macht Bild-Kopplungen, aber eben im Gegensatz zu Pudowkin ohne zwischengeschalteten Widerstand, damit es bei der Bild-Verbindung zur Explosion kommen möge. Es ist diese Sprengkraft der Montage, verstanden als eine instabile, explosive Verbindung, durch welche die Homogenität der Einstellung aufgebrochen und das Medium Film über sich selbst hinaus katapultiert werden soll: in ein „Jenseits der Einstellung.“

Dabei ist es durchaus berechtigt, wenn man sich bei dem Titel von Eisensteins Aufsatz unweigerlich an jenen Text Sigmund Freuds erinnert fühlt, den dieser mit „Jenseits des Lustprinzips“ überschrieben hat. Die Entsprechungen beschränken sich denn auch nicht bloß auf den Titel. In seinem 1920 erstmals veröffentlichten Aufsatz beschreibt Freud das psychische Trauma als Schock, welcher das Bewusstsein anfällt und dessen Schutzbarrieren durchbricht:

„Solche Erregungen von außen, die stark genug sind, den Reizschutz zu durchbrechen, heißen wir traumatische.“

Dabei fällt einem beim Lesen seines Textes auf, wie Freud psychische Prozesse als eigentlich elektrotechnische Abläufe beschreibt: die Psyche ist ein „Apparat“, welcher Erregungen als „zuströmende Energie“ verarbeiten muss. Selbst der Begriff des „Widerstands“ (den Freud in früheren Schriften noch in ganz allgemeinem Sinn gebraucht) wird hier in seiner spezifischen Bedeutung für die Elektrotechnik verwendet, als Schutzmechanismus der die aufs Bewusstsein einströmende Erregungsenergie regulieren soll. Und auch der Reizschutz ist nichts anderes als ein solcher Widerstand, der verhindern soll, dass der psychische Apparat durchbrennt, „durch Kurzschluss sozusagen“ – wie es bei Freud selber heißt.

Wie eng diese Beschreibung Freuds des Traumas als psychische Energieüberflutung mit Eisensteins Attacke auf Zuschauer zusammenhängt, ist bereits Walter Benjamin aufgefallen, als er in seinen Schriften zu Baudelaire, wie auch in seinem Kunstwerk-Aufsatz das bei Freud entlehnte Konzept der psychischen Reizüberflutung auf die „Choc-Wirkungen“ des russischen Montage-Kinos übertrug.

Die explosiven, weil widerstandslosen Kurzschlüsse des Films und die traumatischen Reizschutz-Durchbrüche der Psyche entsprechen sich jedoch nicht bloß. Sie kommentieren und erweitern einander vielmehr. So denkt der kurzgeschlossene Film sozusagen Freuds Überlegungen zum Trauma entscheidend weiter. Es geht also nicht darum, den Film zur schieren Illustration psychoanalytischer Terminologie zu degradieren, sondern vielmehr darum, zu zeigen, wie der Film selber in Form seiner Kurzschlüsse avancierte Theorie betreibt. So nämlich, wenn der Film aufzeigt, dass das Trauma nicht positiv besetzen lässt, sondern im Kurzschluss selbst besteht. Oder anders gesagt: Trauma zeigt sich nicht in Form bestimmter Bilder, sondern besteht vielmehr in der instabilen Verbindung dieser Bilder selbst. Diesen Prozess der Destabilisierung macht der kurzgeschlossene Film gleichsam bewusst wahrnehm- und damit studierbar.

Als Beispiel dafür soll ein Kurzfilm dienen, der schon als Ganzes wie eine destabilisierende Unterbrechung funktioniert, dadurch nämlich, dass er innerhalb eines Spielfilms auftaucht und damit bereits an sich als Zäsur und Einbruch im Verlauf des Films, als Wunde oder Loch (was das lateinische Trauma ja bedeutet) wahrgenommen wird. Es handelt sich um jenen Testfilm, den angehende Attentäter in Alan J. Pakulas Verschwörungsthriller „The Parallax View“ vorgeführt kriegen bei ihrer Rekrutierung. Nachdem es dem Protagonisten des Films, dem Investigativ-Journalisten Joe Frady gelungen ist, ins Zentrum der Parallax Corporation vorzudringen, einer Geheimorganisation für politische Attentate, sehen wir ihn in einem einsamen Sessel Platz nehmen und einen viereinhalbminütigen Kurzfilm schauen. Und wir mit ihm. Es ist dies ein Moment des Kurzschlusses bereits deswegen, weil wir Kinozuschauer diesen Kurzfilm nicht mehr diegetisch gerahmt sehen, sondern dieser Film im Film plötzlich auf die Ebene der Extradiegese vorrückt: Wir sehen nicht mehr dem Protagonisten zu, wie in einem Saal sitzt und sich einen Kurzfilm anschaut. Wir sehen vielmehr den Kurzfilm so, als habe sich unsere Kinoleinwand selbst in den Screen der Parallax Corporation verwandelt und als seien wir selber deren Versuchspersonen. Wo die diegetische Rahmung als Widerstand und Reizschutz fungierte, sind wie nun plötzlich direkt den Bildern des nun gezeigten Kurzfilms ausgeliefert. Ganz wie in Eisensteins Idee eines Kinos der Attraktionen, sollen wir Zuschauer direkt an das angeschlossen werden, was wir vorher noch auf diegetische und damit sichere Distanz hatten bringen wollen.

Und auch der nun beginnende Kurzfilm führt uns nur Kurzschlüsse vor: In einer Form maximaler Reduktion montiert der Parallax-Film (der denn auch nicht von Pakula selbst, sondern von dem – heute leider in Vergessenheit geratenen – Designer Don Record kreiert wurde) nicht bewegte Einstellungen, sondern starre Einzelbilder aneinander (vergleichbar etwa so berühmten Foto-Filmen wie „House: After Five Years“ (1955) von Charles und Ray Eames oder Chris Markers „La jetée“ (1962).

Zwischen die mit sanfter Musik unterlegten Bilder sind immer wieder Zwischentitel auf schwarzem Grund gesetzt, mit Stichworten wie „Love“, „Mother“, „Father“, „Me“ „Home“, „Country“, „God“ „Enemy“, „Happiness“. Der Parallax-Test scheint denn auch zunächst so etwas wie ein Inventar amerikanischer Ideologie zu sein. Bilder eines Baseball-Spiels und von frischen Apfelkuchen, treffen auf Aufnahmen von Weizenfeldern, Thanksgiving-Dinnern im Kreis der Familie und dem Portrait George Washingtons beim Überqueren des Delaware-Flusses.

abb_2_parallax_view

Doch je länger der Film dauert, umso schneller werden die immer wieder gleichen Bilder hintereinander geschaltet und umso undurchschaubarer wird die Logik ihrer Verknüpfung. Bilder nackter Körper werden mit den Aufnahmen des Weißen Hauses kombiniert und mit Aufmärschen des Ku Klux Klans, mit Bürgerrechtsdemonstrationen, dem Gesicht eines alten Farmers, dem Portrait des Kennedy-Attentäters Lee Harvey Oswald, Präsidentenköpfen, Comic-Helden, Uncle Sam, Hitler, Nixon, Mama, Gräberfeld.

Dabei ist zentral, dass der Parallax-Test nicht einfach eine ideologisch nachvollziehbare Umwertung amerikanischer Vorstellungen betreibt, etwa indem „Enemy“ statt mit dem Bild Hitlers nun mit jenem Kennedys assoziiert werden soll. Was den Parallax-Kurzfilm vielmehr so verstörend macht (und mithin das genaue Gegenteil von jener „pleasant experience“ als die ihn die Stimme des Operateurs zu Beginn ankündigt) ist nicht, dass er das gemeinhin positiv Wahrgenommene mit dem Negativen vertauscht, sondern dass er die Möglichkeit der Bewertung an sich zerstört. So wie sich auf der Tonspur gesummte Neil-Diamond-Harmonien mit Marsch- und Pastoralmusik zu einem ganz und gar widersprüchlichen Soundtrack verbinden, schaffen auch die Bildkombinationen keinen nachvollziehbaren Sinn mehr, sondern lassen diesen vielmehr erodieren. Me – Home – Mother – Happiness – das alles bedeutet nichts mehr.

abb_3_parallax_view

Der Kurzschluss der Bilder hat ihren Sinn explodieren lassen. Jacques Lacan beschreibt in seinem Seminar von 1955 den psychotischen Zusammenbruch als Zustand, in dem die Vertäuung (Lacan spricht von „points-de-caption“) von Signifikanten und Signifikaten, von Bezeichnung und Bezeichnetem nicht mehr gegeben ist. Wie zwei Stoffbahnen, die nirgends miteinander vernäht sind, rutschen Signifikate und Signifikanten aneinander vorbei, so dass nichts mehr irgendwas und zugleich alles alles bedeuten kann.

Der Parallax-Test unternimmt nichts anderes, als ebenfalls alle Vertäuungen zu lösen, sie kurzerhand durchbrennen zu lassen, indem er alle Bilder miteinander kurzschließt. Damit macht dieser Kurzschlussfilm das eigentliche Wesen des Traumas anschaulich: nicht länger als klar zu identifizierendes Ereignis, dem sich konkrete Bedeutung zuschreiben ließe, sondern vielmehr als Ausfall der Bedeutungsproduktion selbst. Wenn der Parallax-Test mit seinen Bildern etwa von Martin Luther King, John F. Kennedy oder von dessen Mörder Lee Harvey Oswald auf Ereignisse anspielt, die man gemeinhin als traumatische versteht, dann nur um eben dieses verbreitete Verständnis von Trauma sogleich als bloße Vereinfachung zu demontieren. Das Trauma ist weniger die Ermordung Kennedys, traumatisch ist vielmehr der Zusammenbruch eines ganzen Bedeutungssystems, der sich in diesem Attentat artikuliert hat. Das wird denn auch durch die bis heute nicht abbrechende Flut von mitunter absurden Aufklärungsversuchen des Kennedy-Attentats bestätigt: Was diese Verschwörungstheorien eigentlich wiederherzustellen versuchen, ist die Möglichkeit von Bedeutung an sich, ganz ähnlich wie auch die Wahnvorstellung in der Psychose als Symptom und damit als Versuch zu verstehen sind, das als Ausfall jeglichen Sinns erfahrene Trauma zu überwinden, indem man sich sein eigenes, für Außenstehende absurd anmutende, Bedeutungssystem schafft. Der Wahn, mag er noch so bizarr erscheinen, ist eigentlich ein Versuch des Subjekts, wieder Halt zu finden: „Alles führt sie doch auf die feste Stütze zurück, die sie am Zeichen haben: und hätten sie’s auch nur mit dem Symptom zu tun, in welchem aus dem Zeichen ein dicker Knoten wird.“ Das Trauma hingegen ist der Moment, wo dieser Knoten zerrissen wird und wo die Zeichen ihre Bedeutsamkeit verlieren. Und das ist es, was im Parallax-Testfilm ausgetestet wird.

Für einen Moment in diesem Zustand der Instabilität und der Auflösung zu verharren, sich dem traumatischen Zusammenbruch von Sinn auszusetzen und dadurch erst aufs neue wieder zu verstehen, wie Bedeutungsproduktion überhaupt erst funktioniert, das würde ich denn auch über dieses Beispiel hinaus als das überragende Potential des Kurzschlussfilms bezeichnen, als das, was ihn buchstäblich so explosiv macht. Und auch wo dieser durch Kurzschluss herbeigeführte Zusammenbruch nicht so aggressiv vorgeführt wird, wie in „The Parallax View“, ist die Verunsicherung gleichwohl nicht zu unterschätzen. Auch ein so sanfter, ja betörender Kurzfilm wie Bruce Baillies Klassiker „All My Life“ (1966) betreibt Kurzschluss, auch wenn wir diesen nur als subtiles Prickeln wahrnehmen. Gleichwohl erweist sich die Verbindung zwischen Bildspur (ein knapp drei-minütiger Schwenk von rechts nach links, einen verwitterten Zaun im kalifornischen Sommerlicht entlang) und Tonspur (Ella Fitzgerald singt, begleitet von Teddy Wilson, „All My Life“ in einer ihrer ersten Aufnahmen) als fragile, als zusammenbrechende.

abb_4_all_my_life

So sehr wir auch dazu tendieren, Bild und Ton zu verbinden – die unregelmäßigen Latten des Zauns mit dem Klimpern des Klaviers und der Anblick der roten Rosen der genau mit den Songzeilen „My wonderful one / I’ve begun / Living all my life“ zusammenfällt – die Kopplung bleibt instabil, gerade weil Bild und Ton ohne vermittelnden Widerstand kurzgeschlossen werden. So wie auf jenem Verbotsschild, das an jener Hütte hing, in dem Baillie jeweils den Fitzgerald-Song hörte und auf dem stand „You are required to leave these premises by twelve o’clock tomorrow!“ so kann jedes Sich-einrichten in diesem Film nur temporär sein. Was wir über knapp drei Minuten erleben, ist das zwar sanfte, dabei aber nicht minder radikale Aufdröseln jener Vertäuungen des Sinns, von denen Lacan spricht. Statt einer lauten Explosion erleben wir den Kurzschluss bei Bruce Baillie als langsamen Zusammenbruch, als „gentle collapsing“, wie es in einem Song der Talking Heads heißt. Der Effekt aber ist derselbe. Die Heterotopie des kurzgeschlossenen Films entlässt uns als Verunsicherte, welche die sonst festgefahrenen Codes der Filmsprache haben zerbrechen sehen. Es ist, als müsste man nach den Explosionen des Kurzfilms jedes mal wieder von Grund auf lernen, Filme zu schauen. Und das ist es wohl auch, warum wir diese Explosionen immer aufs neue erleben wollen.

Zu fragen bliebt einzig, wieviel von dieser Explosivität erhalten bleibt, wenn wir Filme immer seltener unter Kino-Bedingungen anschauen. Ob nicht die Umstellung von der spezifischen Wahrnehmungsform des Kinos mit ihrem Zwang des Sehen-müssens hin zu den benutzerfreundlichen Interfaces auf unseren digitalen Endgeräten, auf denen ein Film nur noch als Window unter anderen auftaucht, das sich jederzeit auf- oder wegklicken lässt, eigentlich nichts anderes tut Widerstand und Reizschutz wieder neu zu installieren? Die Vermeidung von Explosionen und die Entschärfung kurzgeschlossener Filme erfolgt bequem per Knopfdruck. Die Zukunft des kurzgeschlossenen Films aber wird davon abhängen, wie sehr es uns gelingt, bequeme Vermeidung zu vermeiden.