Filmbulletin #5(2016), S. 58-69 ///
Franz und sein Liebhaber haben die Bank bereits verlassen, da kehrt die Kamera noch einmal zurück zu dem Schalterbeamten hinter der Glasscheibe. „Bar… bar… bar…“ spricht dieser vor sich hin. „Wenn man ein Wort ganz oft sagt, versteht man gar nicht mehr, was es bedeutet.“ Diese wundersame kleine Szene findet sich in Rainer Werner Fassbinders „Faustrecht der Freiheit“ – ein kurzer Moment des Stockens und Stotterns, wo der Lauf des Films sich unterbricht, sehr auch zur Irritation der Zuschauer. Und genau darum geht es: Irritation und Iteration gehen Hand in Hand.
Unterbrechung und Wiederholung sind gar nicht Gegensätze, sondern vielmehr ein und dasselbe Phänomen. Wenn man etwas nur oft genug wiederholt, kennt man es nicht mehr – so weiss der Mann hinter dem Schalter. Repetition bringt keine grössere Vertrautheit, sondern schafft im Gegenteil Verwirrung, so wie ein déjà-vu uns gerade deswegen so irritiert, weil wir es als etwas erleben, das wir doch bereits gesehen haben. Die Wiederholung ist eine Praktik der Verfremdung.
Fassbinders Szene könnte mithin als Denkbild dienen, wie man sich der Praktik des filmischen Remakes anzunähern hat: nämlich als einem faszinierenden Versuch, über Wiederholung Unvertrautheiten zu schaffen. Mag sein, dass die Gründe, warum beispielsweise das amerikanische Kino immer wieder gerne auf bereits vorhandene Filmstoffe zurückgreift, vor allem kommerzieller Natur sind. Man betreibt Recycling als günstigere Alternative zur Neuerfindung. Daraus aber abzuleiten, dass ein Remake somit zwangsläufig über weniger Ideenreichtum verfüge als die Vorlage, ist gleichwohl falsch. Diese leider gängige Auffassung folgt jener Logik des Kopierens, die überzeugt ist, dass bei jedem Kopier-Akt ein bisschen mehr an ursprünglicher Information verloren geht, so wie wenn man eine Textseite auf den Fotokopierer legt, um dann die so entstehende Kopie ihrerseits wieder zu kopieren, immer weiter, so lange, bis man den ursprünglichen Text nicht mehr entziffern kann. Aber wächst mit diesem Unleserlich-werden des Textes den Kopien nicht zugleich auch etwas zu? Was der Text an Lesbarkeit verliert, gewinnt die Kopie an Rätselhaftigkeit.
Wie die Szene bei Fassbinder zeigt, schafft selbst noch das stumpfsinnigste Wiederholungsverfahren alleine dadurch etwas Neues. „Wenn man ein Wort ganz oft sagt, versteht man gar nicht mehr, was es bedeutet.“ In der schieren Wiederholung vermag das Wort sich zu verwandeln. Wenn man es ganz oft sagt, wenn man es lange genug kopiert, kann es seine Bedeutung abstreifen und beispielsweise zum puren Klang werden, zum rätselhaften, undeutbaren Phänomen, dem nicht mehr allein durch die Semantik beizukommen ist. Wenn man ein Wort ganz oft wiederholt, merkt man, wie wenig man eigentlich von ihm weiss. Das Wort nicht mehr zu verstehen ist somit ein Verlust nur in der Auffassung von denjenigen, welche glauben, es gäbe nur eine einzige und nur eine richtige Weise, was Wörter sein können. Nur für den, welcher an nur eine Möglichkeit glaubt, erscheint die Kopie minderwertig. Er hat das Potential der Wiederholung nicht verstanden.
In seinem Buch „Differenz und Wiederholung“ unterscheidet Gilles Deleuze die Wiederholung von dem, womit sie gerne verwechselt wird und was Deleuze „Allgemeinheit“ nennt. Das Denken der Allgemeinheit ist eines, das von einem allgemein gültigen Gesetz ausgeht, vor dessen Hintergrund alle sich wiederholenden Phänomene nur wieder Bestätigungen dieses Gesetzes sind. Dass Naturphänomene immer wieder gleich ablaufen liegt darin, weil sie auf einem einzigen Naturgesetz gründen. Dass Regentropfen immer wieder ähnlich von oben nach unten fallen, liegt daran, dass sie von ein und demselben Gesetz der Schwerkraft beherrscht werden. Die Allgemeinheit bietet damit den Bezugsrahmen, in dem die Phänomene sich ereignen und so miteiander vergleichbar werden. Diesem Denken der Allgemeinheit folgt mithin auch der Begriff des Originals. Wie ein Naturgesetz bildet das Original den absoluten Bezug, mit dem alle vorkommenden Varianten verglichen werden müssen. So funktioniert denn auch, wie man gemeinhin mit Kopien umgeht: eine Kopie wird nur wahrgenommen als Kopie von etwas. Sie wird danach bewertet, wie sie sich zum Original verhält, wie ähnlich oder unähnlich sie diesem ist. Die Kopie steht in der Hierarchie immer einen Platz unter dem Original.
Bei der Wiederholung aber geht es für Deleuze um etwas ganz anderes. Die Wiederholung ist gerade nicht Bestätigung eines allgemeinen Gesetzes, sondern dessen Demontage. Wiederholung ist nicht konformistisch, sondern transgressiv. „Die Wiederholung ist in jeder Hinsicht Überschreitung“. Die Wiederholung anerkennt denn auch nicht das Original als unhintergehbare Referenzgrösse, sondern verschiebt und verwandelt vielmehr dieses Original selbst im Akt der Wiederholung. Genauer gesagt gibt es für das Denken der Wiederholung überhaupt kein Original mehr, sondern immer nur neue Wiederholungen. Die Wiederholung ist hier das primäre, so wie beispielsweise in den Reproduktionen Andy Warhols, wo sich kommerzielles Produkte und deren Erscheinung in Künstlerbilder verwandeln und diese ihrerseits wieder in Konsumprodukte. Welches ist das Original von Wahrhols „Campbell’s“-Suppen-Bildern? Die allererste Suppenbüchse, die Campbell so hat produzieren lassen? Oder die unzähligen Suppenbüchsen in den Supermärkten? Oder die Werbeanzeige davon in den Illustrierten? Oder Wahrhols erster Siebdruck? Oder die erste, der 32 Abbildungen auf seinem Gemälde „32 Campbell’s Soup Cans“? Oder sie alle zusammen? Ein Original, so macht die Pop-Art besonders plakativ klar, gibt es nicht, sondern nur laufende Wiederholungen, die in jedem Wiederholungsschritt immer etwas Neues schaffen und die, wie es bei Deleuze heisst, „einen Unterschied machen“. Die Wiederholung ist folglich gerade eine Praktik der Differenz und nicht etwa deren Gegenteil.
Diskussionen von Film-Remakes indes bleiben meist in der Sackgasse eines Denkens der Allgemeinheit stecken. Wie Kopien werden auch Remakes meist danach beurteilt, wie sie sich zum Original verhalten. Was ist besser, was ist schlechter als im Original? Wie ähnlich sind sie ihm? Und dass man dabei fast immer stillschweigend davon ausgeht, dass die Vorlage ohnehin zwangsläufig besser sein müsse als dessen Remake verrät noch zusätzlich eine besonders bornierte und möglicherweise auch typisch europäische Original-Fetischisierung. Man übersieht freilich dabei, wie heikel der Begriff „Original“ im Falle des Kinos ohnehin ist. Ist nicht der Film jene Kunstform, welche ganz besonders exzessiv mit der Idee des Originals Schluss gemacht hat? Nicht nur, dass die ganze Entstehung eines Films ein Prozess andauernder technischer Reproduktion ist, angefangen vom Dreh, bei welchem die optischen Erscheinungen vor der Linse auf Film kopiert werden, über die verschiedenen Arbeitskopien bis zu all den Vorführkopien, die schliesslich in die Kinos verschickt werden. Nicht nur, dass die Materialbasis eines Films aus lauter Kopien besteht, sondern diese Materialbasis wird noch zusätzlich entmaterialisiert als nämlich das, was wir „den Film“ nennen, ja ein Kunstwerk ist, welches erst im Akt der Vorführung entsteht und sich sofort unweigerlich wieder verflüchtigt. Und so wie der Film kein Original kennt, sondern nur die wiederholte Aufführung, so wird der Film bei jeder Wiederholung wieder ein anderer. Jede Aufführung ist anders, weil sich die Zeit, Vorführbedingungen und nicht zuletzt wir selbst als Publikum uns geändert haben. Fassbinders Schalterbeamter würde sagen: Wenn man einen Film ganz oft sieht, versteht man nicht mehr, was er bedeutet. Beim déjà-vu wird uns unheimlich.
Remakes sind darum interessant, weil sie diese Logik einer Wiederholung als Verschiebung und Differenz, die dem Film bereits als Medium inhärent ist, auf einer zweiten, expliziten Ebene noch einmal wiederholen. Indem Remakes Geschichten aber auch formale Gestaltungsweisen wiederholen, decken sie gleichsam die innere Wiedersprüche und internen Differenzen auf, welche diese Geschichten immer schon auszeichnete. Remakes sind also nicht nur selber Verschiebungen im Vergleich zu ihren Vorgängern, sondern es gelingt ihnen, diesen Vorgängern selbst ihren Status als Originale abzuerkennen und diese angeblichen Originale nachträglich in Wiederholungen umzuwandeln. Indem Remakes einen älteren Film wiederholen, verschieben und verändern sie diesen älteren Film zugleich und machen diesen selbst zu nur einer weiteren Variante, einer weiteren Wiederholung. Es kann auch nicht mehr darum gehen, zu beurteilen, welche Version nun besser oder schlechter ist, sondern vielmehr darum, die sich ereignenden Verschiebungen wahrzunehmen und zu untersuchen.
Ein besonders eindrückliches Beispiel für diese Möglichkeiten solch einer verschiebenden Wiederholung liefert ein besonders berüchtigtes, weil als eigentliche Freveltat wahrgenommenes Remake, nämlich Gus Van Sants „Psycho“ von 1998. Der Versuch, eines der anerkanntesten Kinokunstwerke nochmal neu zu verfilmen, musste umso wahnwitziger erscheinen, als sich die Version von Gus Van Sant nicht nur was das Drehbuch angeht, sondern mitunter bis in die Bildeinstellungen hinein an Hitchcocks Vorlage hält. Gerade in dieser offensiv ausgestellten Nähe zu „Psycho“ von 1960 musste sich Gus Van Sants farbiges Nachspielen von Hitchcocks Meisterwerk immerzu als leicht entstellter Zwilling ausnehmen, was von Seiten der Kritik sofort zum Anlass genommen wurde, die Abweichungen des Remakes von der Vorlage zu protokollieren, wie etwa Thomas Leitch in seinem, einzig in einer Auflistung der Unterschiede sich erschöpfenden Aufsatz „101 Way to Tell Hitchcock’s Psycho from Gus Van Sant’s“. Interessant ist indes an der Frage, wo und wie das Remake von der Vorlage differiert nur, wie diese Differenzen nicht nur den neuen Film auszeichnen, sondern zugleich auch den alten Film neu akzentuiert. In der Szene etwa, da der Motelbesitzer Norman Bates durch das Loch in der Wand seines Büros, die Protagonistin Marion Crane dabei beobachtet, wie sie sich auszieht, macht Gus Van Sant im Gegensatz zu Hitchcock klar, dass sich der Voyeur dabei masturbiert. Slavoj Zizek hat just auf diese Szene hingewiesen als Beleg, wie Gus Van Sant nicht zuletzt die psychologische Pointe von Hitchcocks Film verpasst. Wäre Norman nämlich, so Zizeks Argument, überhaupt in der Lage, onanierend sexuelle Befriedigung beim Beobachten der Frau zu erlangen, dann bräuchte es wohl das ganze Morden nicht. Allerdings geht dieses Argument nicht weit genug. Tatsächlich ist das eigentlich Bedeutsame an Gus Van Sants Änderungen, dass dadurch, wenn man zurück zu Hitchcocks Film geht, deren Voyeurszene nur noch verstörender wird. Die eindeutig deklarierte Masturbation bei Gus Van Sant, fern davon schmutziger und obszöner zu sein als die Hitchcock’sche Variante, ist in Wahrheit eigentlich eine Beruhigung. Wo das heimliche Beobachten einer Frau einzig dazu dient, sich einen runterzuholen, bewegt man sich im vertrauten Terrain physiologischer Erregungsökonomie. Das weit geöffnete Auge bei Hitchcock indes, dem keine bestimmte Gefühlsregung mehr abzulesen ist, sondern das nur unablässig schaut, fast wie festgeschraubt in der Wandöffnung und gleichsam entkoppelt vom Körper Normans, mutet da ungleich beunruhigender an. Gerade weil der Blick sich selber zu genügen und auf ewig erstarrt zu sein scheint in seiner puren Triebhaftigkeit, die nie eine Abfuhr in Form einer Masturbation erleben wird, zeugt der Blick von einer Perversion, die weit über und unter die banalen Wichsfantasien von Gus Van Sants Norman hinausgehen. So dient das Remake gleichsam als Kontrastmittel, anhand dessen sich nicht nur die Brillanz von Hitchcocks Film zeigt (wie alle Kritiker sofort eilig unterstrichen haben), sondern vor allem als Kontrastmittel das zeigt, was bereits in Hitchcocks „Psycho“ mehr war, als dieser Film selbst.
Dies aus Hitchcock selbst herauszukitzeln hatte einige Jahre vor Gus Van Sant bereits der französische Künstler Pierre Huyghe mit seiner Arbeit „Remake“ gemacht, wo er unter minimalsten Bedingungen im Apartment der Pariser Vorstadt und mit französischen Laiendarstellern Hitchcocks „Rear Window“ akribisch Einstellung für Einstellung nachgedreht hat. Was Van Sant über Zugaben macht, gelingt Huyghe (den Filmstills nach zu schliessen) durch Reduktion: mithilfe eines Remakes zeigen, was schon im Hitchcock-Film irgendwie nicht stimmte. Huyghe Skelettierung von „Rear Window“ macht klar, mit welchen verfremdenden Reduktionen eigentlich bereits die Vorlage operierte. Und im Gegenzug, erlauben einem die Ausschmückungen, die sich Van Sants Remake leistet, noch schärfer zu erkennen, wie abstrakt der alte „Psycho“ eigentlich immer schon war. Im Wiedersehen durch die Linse des Remakes erkennen wir beispielsweise, wie leer und rudimentär die Sets bei Hitchcock sind, ein Effekt freilich nicht zuletzt natürlich von Hitchcocks Ambition, einen Kinofilm unter den Produktionsbedingungen des Fernsehens zu machen. Die gleichsam anti-illusionistische Kargheit früher amerikanischer TV Series wie „Playhouse 90“, „Twilight Zone“, „Dragnet“ oder eben auch „Alfred Hitchcock Presents“ (und die einem im Nachhinein unweigerlich als Ankündigung etwa jenes nackten Stils von Straub-Huillet vorkommen kann) herrscht auch in „Psycho“. Wo die Räume bei Van Sant nur schon ob ihrer Farbigkeit viel vielfältiger ausgestattet wirken, sind die Schauplätze bei Hitchcock klaustrophobisch in ihrer Leere. Der Keller, in dem die Mumien-Mutter wartet, ist bei Van Sant ein schillerndes Kabinett und somit gefundenes Fressen für den Hermeneutiker, der alle dort versammelten Gegenstände auf ihre symbolische Bedeutung hin abklopfen möchte. Bei Hitchcock im Kartoffelkeller hingegen gibt es buchstäblich nichts zu sehen. Die Szenen bei Hitchcock scheinen vielmehr wie in einer Installation des deutschen Künstlers Thomas Demand zu spielen, welcher in seinen Modellen aus Papier und Pappe reale Räume präzise nachbaut, die aber doch immer modellhaft, künstlich und leer wirken. So wie Demand die realen Orte in Form seiner Modell wiederholt und dadurch verschiebt, so erscheinen auch die Szenerien bei Hitchcock als Wiederholungen von Wiederholungen: Kopien von kopierten TV-Kulissen, welcher ihrerseits Bühnenkulissen kopieren. Kein Original. Nur Wiederholungen.
Das passt freilich als Verfahren haargenau zum Hitchcock’sche Oeuvre und diesem Film im Besonderen, der sich ja auch inhaltlich genau um solch verschiebenden Wiederholungsverfahren drehen. Wie sagt Norman Bates doch so treffend: „Mother – what’s the phrase – isn’t quite herself today“. Mama Bates, die wir im Keller von „Psycho“ aufspüren, ist ja bekanntlich tatsächlich nicht recht sie selber, sondern vielmehr eine durch den Sohn fabrizierte Mumien-Kopie. Mama Bates ist das, was der Philosoph Jeremy Bentham, der Erfinder des panoptischen Überwachungsgefängnisses, eine Auto-Ikone nannte und nach seinem Tod aus sich selber machen liess: ein Denkmal fabriziert aus den eigenen mumifizierten Überresten. Mama Bates ist eine Wiederholung ihrer selbst, welche wiederum von und durch ihren Sohn wiederholt wird, und so weiter…
Die Remakes von Pierre Huyghe und Gus Van Sant zeigen nicht zuletzt dies: Remakes sind bei Hitchcock schon im eigenen Werk selber mit eingebaut. Das gilt nicht nur dort, wo er explizit einen früheren Film noch einmal verfilmt, wie geschehen mit seinen beiden Versionen von „The Man Who Knew Too Much“ aus den Jahren 1934 und 1956, oder wo er Versatzstücke von Film zu Film wiederholt, sondern eben auch innerhalb ein und desselben Films, wie etwa in „Vertigo“ der in zwei Teile zerfällt, von dem der zweite eine Nachbildung des ersten darstellt. So wie in „Vertigo“ der Ex-Polizist Scottie im zweiten Teil des Films jene Frau nachbauen will, die ihm im ersten Teil gestorben ist, so operiert der ganze Film über sich wiederholende und dadurch sich verschiebende Szenen, von den Schwenks über San Francisco, die mal von rechts nach links und dann von links nach rechts verlaufen bis zu den Figuren, die sich hinsetzen, wenn die andere aufsteht und aufsehen, wenn das Gegenüber den Blick senkt. „I look up… I look down… I look up… I look down…“ – so versucht sich Scottie selber von seiner Höhenangst zu heilen, während er dazu auf den Küchenschemel klettert. Aber natürlich kommt man mit diesem Spiel der Wiederholungen weder zurück zu einem sicheren Anfang noch bei einem glücklichen Ende hinaus, sondern trudelt nur immer tiefer in die Spirale der Wiederholungen hinein. Es wird sich denn auch prompt erweisen, dass das Remake jener toten Frau, welche sich Scottie im zweiten Teil zusammenbastelt, jene Frau tatsächlich ist, in die er sich im ersten Teil verliebt hatte. Scottie hatte immer nur mit einer Kopie zu tun, nie mit dem Original. Das Original gab’s gar nie, am Anfang war immer schon die Wiederholung. Was Scottie macht ist das Remake eines Remakes. So müsste man denn auch das Argument in Chris Markers berühmtem Essay „A free replay (notes on Vertigo)“ umkehren. Wenn Marker sagt, dass der zweite Teil des Films eigentlich nur die geträumte Fortsetzung des ersten sei, dann scheint einem beim Wiedersehen das Gegenteil mindestens so plausibel: eigentlich ist der zweite Teil der heimliche Beginn und der erste Teil dessen fantasmatische Wiederholung. Bitte alles nochmal von hinten. „I look up… I look down…“ – Replays und Remakes, Wiederholungen über Wiederholungen.
Wo hat es angefangen? So fragt man sich auch in Jacques Tourneurs „Cat People“ wenn die Protagonistin in einem Restaurant von einer katzenartigen Frau mit „moya sestra“ – „meine Schwester“ angesprochen wird, noch ehe die Heldin selbst von ihrer Doppelidentität als Wildkatze erfahren hat. Das Wiedererkennen durch die anderen kommt vor dem eigenen Erkennen. „Du bist nicht die erste“ – auch das bedeutet die Begrüssung der Protagonistin durch die fremde Frau im Restaurant. „moja sestra“ – „Du bist nur die Wiederholung von mir“. Paul Schrader in seinem Remake von Tourneurs Film macht nichts anderes, als auch diese Wiederholung noch zu wiederholen. Wo man sich bei Tourneur fragt, wie alles angefangen hat, führt uns Schraders Eröffnungsequenz an den Anfang aller Zeiten. Oder ist’s das Ende? In dem mal glutroten und dann nachtblauen Nirvana zu Filmanfang findet ein Ritual statt, in dem sich Mensch und Panther vereinigen, offenbar nicht zum ersten Mal, sondern immer und immer wieder. Und wo es bei Tourneur eine Heldin gibt, sind bei Schrader zwei: Schwester und Bruder. „moja sestra, moj brat“. Die sodomistische Mensch-Tiervereinigung wird noch in Form einer inzestuösen Geschwisterliebe wiederholt und weitergetrieben. Es ist als habe Schrader Tourneurs Film weiter deliriert, so wie man ein grausiges Märchen bei jeder neuen Wiederholung noch etwas mehr ausschmückt, noch etwas weitertreibt bis es etwas ganz anderes geworden ist, als es zuvor war. Remake als Bastardisierung. Philosophiegeschichte zu betreiben, so schreibt Gilles Deleuze in seinem berüchtigten „Brief an einen strengen Kritiker“, stelle er sich vor als einen Akt unerlaubter Fortpflanzung: „Ich stellte mir vor, einen Autor von hinten zu nehmen und ihm ein Kind zu machen, das seines, aber trotzdem monströs wäre.“ Was Deleuze am philosophischen Denken und dort an der Wiederholung interessiert, ist eine Fortsetzung, die sich nicht auf eine Treue zum Original oder zum allgemeinen Gesetz berufen kann, sondern aus dem Vorhandenen etwas ganz neues macht und ihm illegitime Nachkommen entlockt. So wäre auch das Remake als bastardisierende Wiederholung zu verstehen, die gerade nicht eine legitime, genealogisch saubere Fortführung darstellt, sondern die Herkunftsverhältnisse verschiebt, verkehrt, transformiert und überschreitet.
Wie passend, dass denn auch ein Film wie Don Siegels „Invasion of the Body Snatchers“ von 1956 sowie dessen Remake durch Philip Kaufman im Jahr 1978 sich genau um solche ungehörigen Fortpflanzungen dreht. Die „Body Snatchers“ von denen der Titel spricht, tun nichts anderes, als die Körper der Menschen zu kapern und alles Hüllen ihrer ausserirdischen Existenz zu benutzen. Die Body Snatchers nehmen die Menschen von hinten und machen neue aus ihnen. Ähnlich wie die Mumie im Keller von „Psycho“ die Auto-Ikone von Mama Bates, eine Kopie ihrer selbst, so werden die besessenen Menschen in „Invasion of the Body Snatchers“ zu illegitimen Nachkommen ihrer selbst. Obwohl äusserlich immer noch ganz die Alten, sind sie zugleich doch ganz andere geworden. Der Unterschied sei nicht wahrzunehmen, sagt in Don Siegels Film eine Frau über ihren Onkel, von dem sie spürt, dass er sich verwandelt hat: „He looks, sounds, acts as Uncle Ira“ Also ist es auch Onkel Ira, meint dazu der sie behandelnde Arzt. „But he isn’t. There’s something missing!“. Etwas fehlt den Wiedergängern oder vielmehr – und was auf dasselbe rauskommt – sie haben etwas zu viel, eben jenes zusätzliche Ausserirdische in ihnen, was sie so subtil anders macht. Die ausserirdischen Kopien in „Invasion of the Body Snatchers“ die genau so aussehen, sprechen und sich verhalten wie die menschlichen Originale und doch anders sind: diese Ausserirdischen sind selbst nichts anderes als Remakes. Remakes, die noch genauer die Vorlage zu imitieren versuchen als es die Arbeiten von Gus Van Sant oder Pierre Huyghe vermochten, Remakes, die eigentlich überhaupt nicht mehr von den Vorlagen zu unterscheiden sind. Perfekte Kopien. Und doch kreiert der Akt des Wieder-machens, des Re-making, dass diese Wiederholungen sich bei aller äusserlicher Ähnlichkeit mit der Vorlage doch zugleich ganz und gar neu und unvertraut anfühlen. Die Wiedergänger in „Invasion of the Body Snatchers“ sind buchstäblich die Verkörperungen der Deleuze’schen Wiederholungslogik: was sich wiederholt, erweist sich gerade dadurch als anders. So verschiebt sich im Laufe von Don Siegels Film allmählich die ganze Welt. Sind es am Anfang nur einige wenige Personen, die als von einer ausserirdischen Macht besessen erkannt werden, ist es am Ende die ganze Stadtbevölkerung und nur ein einziger vermag sich noch gegen die Invasion zu wehren. Steigert sich die Paranoia im „Invasion of the Body Snatchers“ von 1956 erst schrittweise und in Form von Wiederholungsschlaufen, ist diese dann im Remake von 1978 die Angst bereits von allem Anfang da. Schon die allererste Figur, eine Lehrerin mit ihrer Klasse auf dem Weg zum Spielplatz, welche uns in diesem Remake entgegenkommt, schaut so merkwürdig, dass dem Zuschauer klar ist, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Breiteten sich in der Vorlage die Ausserirdischen erst allmählich aus, haben sie im Remake schon alles infiltriert. Und war die Invasion im früheren Film noch auf eine fiktive kalifornische Kleinstadt beschränkt, betrifft sie im Remake ganz San Francisco. Die Wiederholungen wuchern: innerhalb der Filme, aber auch von Film zu Film.
Doch wenn am Ende alle um einen herum Aliens sind, wie kann man dann noch wissen, ob man nicht selber verrückt ist. Wie in dem Witz vom Geisterfahrer, der meint alle anderen führen in die falsche Richtung, beginnen sich in der Wiederholungsstruktur von „Invasion of the Body Snatchers“ die Zuordnungen umzudrehen: Ob nicht vielleicht diejenigen, die eine Invasion zu erkennen glauben, die eigentlichen Besessenen sind? Sind nicht vielleicht die angeblichen letzten echten Menschen die wahren Aliens? Wenn wir gesagt haben, dass es zur Logik der Wiederholung gehört, mit der Idee des Originals Schluss zu machen und das, was man einst fürs Original hielt nun selbst als Wiederholung kenntlich zu machen, dann führen die beiden Version von „Invasion of the Body Snatchers“ uns genau diesen Prozess auf unheimlichste Weise vor. Allmählich beginnen wir die angebliche Realität als blosse Fälschung zu verdächtigen und die Kopien als das eigentlich Reale.
Was „Invasion of the Body Snatchers“ ins Science-Fiction-Gruselhafte wendet, ist freilich nur, was in der Traumfabrik immer schon Sache war. Das unheimliche Gefühl, die Kopie nicht mehr vom Kopierten unterscheiden und die Realität nur noch als Wiederholung einer Fiktion erleben zu können, das ist genau, was in den drei Versionen von „A Star is Born“ als Dilemma des Showbusiness per se präsentiert wird. Von William Wellmans „A Star Is Born“ von 1937 über George Cukors Version von 1954 bis zu Frank Piersons „A Star Is Born“ von 1976 kreisen all diese Wiederholungen immer wieder um die Frage, wie lange es dauert, bis die fiktive Star-Persona den realen Menschen dahinter endgültig aufgefressen hat. Invasion der Körperfresser – das könnte auch als Beschreibung der Unterhaltungsindustrie durchgehen. „What Price Hollywood?“ fragt denn auch der Titel jenes Films von George Cukor, der eigentlich am Anfang dieses Remake-Reihe steht. Freilich ist von Anfang zu sprechen genau so falsch, wie an der Idee des Originals festzuhalten. Die Erzählung vom Aufstieg und tragischen Fall der grossen Stars, wie sie in „What Price Hollywood?“ sowie den drei Versionen von „A Star Is Born“ erzählt werden, war natürlich immer schon eine alte Geschichte. Alles nur Wiederholungen. Und gerade daraus ziehen diese Filme ihr besonderes tragisches Pathos. Wenn in George Cukors „A Star is Born“ von 1954 Judy Garland die aufstrebende Sängerin Esther Blodgett spielt, deren Aufstieg zum Sternenhimmel einhergeht mit dem Niedergang des Manns an ihrer Seite, dann ist dieser Film nicht nur ein Remake von Cukors eigener, sowie Wellmans früherer Fassung des Stoffes, sondern zugleich auch ein Remake von Judy Garlands eigener Karriere mit all ihren tragischen Tiefs. So wiederholt sich auf der Leinwand und für jedermann sogleich ersichtlich das, was das Publikum bereits aus den Klatschheftchen über Judy Garland wusste. Nicht nur scheint Judy Garland sich selbst zu spielen und das eigene Leben als Performance zu wiederholen, wie in jener Shownummer des Films „Born in a Trunk“, sondern auch die Figur an ihrer Seite, der alkoholkranke Norman Maine, der an seinem früheren Erfolg zerbricht, ist nichts anderes als nur wieder eine Spiegelung, eine Wiederholung Garlands. Wenn in einer Szene die von Garland gespielte Esther während einer Drehpause zusammenbricht, danach aber trotzdem weiterspielen, weiter singen und lachen muss, dann weiss man als Zuschauer nicht mehr, was man hier eigentlich sieht und wo die Rolle beginnt und die Schauspielerin endet. Die offensichtliche Künstlichkeit von Cukors Films, die ganze Technicolor-Artifizialität dieses wahnwitzigen Films ist zugleich direkter, schonungsloser und mithin dokumentarischer was man sonst je über Hollywood gesehen hat. Authentizität, so hat Richard Dyer in seiner Lektüre von „A Star is Born“ gezeigt, ist offenkundig eine Konstruktion, ist eine Performance, die fabriziert, die gespielt wird, für das Publikum im Film und für uns im Kinosaal. Gerade darin aber, in ihrer exzessiven Ausstellung als Performance ist sie echt, oder eigentlich: echter als echt.
Was für „A Star is Born“ und dessen Hauptdarstellerin gilt, kann auch als Fazit der Praktik des Remakes gelten. An und in den Vorführungen Judy Garlands, in all den Re-Takes und Re-Makes ihrer selbst, sehen wir scharf und schmerzhaft, was Wiederholung macht: Es gibt kein Original, keine Person hinter der Schminke oder hinter den Kulissen. Es gibt nur das Spiel, das sich immer wiederholt, jedesmal anders. Nur das Remake ist wahr. Bitte nochmal!