Transformation der Bilder. Was Video sehen lässt.

in: Filmbulletin, Heft 3 (Mai 2018), S. 51-59 ///

Zwei Mädchen liegen auf dem sommerheissen Asphalt. Leicht nur zucken ihre Füsse und Gesichter in Zeitlupe. Da beginnt es zu regnen. Die Tropfen färben den Boden dunkel, Punkt für Punkt. Auf der Tonspur ist das immer eiliger werdende Prasseln zu hören, wobei man bemerken kann, dass es sich dabei wohl weniger um Regengeräusche auf Asphalt, sondern um das Klopfen auf einem Perkussionsinstrument handeln dürfte. Und irgendwann springen die beiden Mädchen auf, schwingen sich auf ihre Beine und rennen davon, aus dem Bild hinaus. Im verlangsamten Videobild zeigen sich ihre Bewegungen als unscharfe Schlieren. Dann sind sie weg. Was bleibt ist ihre Kontur als trockene Stellen auf dem Boden. Helle Flecken auf dunklem Grund. Doch der Regen fällt weiter und allmählich verschwinden auch diese Körperabdrücke. Tropfen für Tropfen lösen sie sich auf.
Verknappt wie ein Haiku führt das Video <erst hell, dann leicht, dann himmelhoch> der Schweizer Künstlerin Edith Flückiger (das unter anderem auch an der zweiten Ausgabe von Videoex zu sehen war), zurück zu den Fundamenten jeglicher Bildgebung: Wer hat nicht als Kind das auch schon ausprobiert, mit nassem Finger Zeichen auf den trockenen Brunnenrand gezeichnet, um dann zuzuschauen, wie die Spuren langsam versickern, trocknen und verschwinden? So hat die Natur immer schon gemalt, mit Wasser auf Stein und das bereits Millionen von Jahren bevor es überhaupt jemanden gab, der diese Bilder hätte bewundern können. Zugleich aber spiegelt sich in Edith Flückigers Regenbild nicht nur die älteste, sondern auch die modernste Bildtechnik: Die einzelnen Tropfen, die Konturen malen, sie erinnern unweigerlich an die Pixel aus denen sich jenes Videobild zusammensetzt, das wir da sehen. Und wenn am Ende nichts bleibt, als nasser Asphalt, die ganze Fläche zugemalt von den nassen Pixel-Tropfen, sieht es aus wie ein Fernsehschirm, auf dem nichts läuft als elektrisches Bildrauschen. Im Englischen sagt man zu solchem Bildrauschen auch «Snow». Bei Edith Flückiger löst sich auch das auf, die Schneekristalle des Snow werden zu Regen und dieser wieder zu Pixel-Flocken. Video, so wird uns klar, kennt keinen festen Aggregatzustand, sondern nur laufende Transformation, wie sie bereits der Titel beschreibt: erst hell, dann leicht, dann himmelhoch. Statt etwas festzuhalten, wie man es gemeinhin Bildern attestiert, wird in Video die Darstellung verflüssigt. Bilder schlagen sich nieder und vergehen im selben Zug, wie Konturen im Regen.

Ich sehe was

Selten sagte eine Bezeichnung so wenig über seinen Gegenstand aus, wie diese: «Video». Das Wort kommt aus dem Lateinischen und meint dort nichts anderes als schlicht «Ich sehe». Als Name für ein optisches Medium ist das einigermassen tautologisch und verschweigt gerade das Wesentliche. Ich sehe! Aber was? Vielleicht ist jedoch eben diese Frage, was man denn eigentlich sieht, wenn man Video betrachtet, dessen eigentliche Pointe. Die Frage könnte uns sensibel machen für ein Medium, das zugleich absolut alltäglich ist und von dem wir trotzdem noch immer nicht wirklich verstanden haben, wie radikal anders es funktioniert, als was wir uns gemeinhin unter Sehen vorstellen. Ich sehe! Aber wie? Die Frage müssten wir uns andauern stellen, sind wir doch auch andauernd mit Video konfrontiert. Seitdem auch im Kino die Filme nicht mehr ab analogem Filmmaterial, sondern ab digitalen Datenträgern gezeigt werden, ist auch das, was man Filmkultur nennt, eigentlich schon längst eine Videokultur geworden. Doch gerade diese Allgegenwart von elektronischen Bewegtbildern, die uns längst nicht mehr nur von Fernseh-, sondern auch von Computerschirmen, von Werbetafeln an der Strasse ebenso wie vom Mobiltelefon in unserer Hand entgegenstrahlen, hat uns das Medium banal erscheinen lassen und uns blind gemacht dafür, wie merkwürdig es eigentlich funktioniert und wie radikal es eigentlich mit all dem bricht, was wir uns unter Sehen vorstellen.

Lochscheibe und Elektronenstrahl

Um diese unerhörte Revolution von Video zu verstehen, muss man freilich zurückgehen zu seinen Anfängen im Fernsehen, wo der Begriff der «video transmission» in den Dressigerjahren erstmals auftaucht. Die Technologie dahinter ist da schon ein halbes Jahrhundert alt: Schon 1884 hat der deutsche Ingenieur Paul Nipkow ein Verfahren patentieren lassen, wie man mittels gelochter Scheiben Bilder in Punkte zerlegen, diese nacheinander telegrafisch versenden und dann am andern Ort wieder zu ganzen Bildern zusammensetzen kann. Sein «Elektrisches Teleskop zur elektrischen Wiedergabe leuchtender Objekte», wie es auf dem Patentschein umständlich heisst, ist eigentlich bereits ein Fernseher und mit Patentjahr 1884 sogar noch vier Jahre früher da, als die allerersten Filmaufnahmen der Geschichte durch Louis Le Prince. Fernsehen, so stellt man erstaunt fest, ist eigentlich älter als Kino.
Und ebenfalls noch im 19. Jahrhundert wird auch jener Apparat erfunden, der noch bis in 2000erjahre anstelle von Nipkows Lochscheiben die Zerlegung und Zusammensetzung von Fernsehildern übernehmen wird: Die Kathodenstrahlröhre, derentwegen man auch von «Röhrenfernseher» sprach – ist ein Gerät, das nichts weniger kann, als Strom selbst sichtbar zu machen. 1897 hatte der deutschen Physiker Karl Ferdinand Braun erkannt, wie man durch Anlegen von elektrischer Spannung an eine Kathode in einer luftleeren Glasröhre einen Strahl aus Elektronen erzeugen kann. Diese schiessen durch die Röhre um an deren anderem Ende auf einen chemisch beschichteten Schirm aufzuprallen, wo die Elektronen dann als leuchtender Punkt zu sehen sind. Doch kann man diesen Elektronenstrahl nicht nur gerade auf den Schirm prallen lassen, sondern seine Bahn durch elektromagnetische «Ablenkplatten» auf Abwege bringen. So zeigt sich etwa an der Verlagerung des Punkts auf dem Schirm wie die an den Ablenkplatten angeschlossene Spannung verändert – ein Verfahren, wie es im Messgerät des Oszilloskops oder zur Anwendung kommt oder im Radargerät. Dass man mit dem Elektronenstrahl der Braunschen Röhre indes auch Bilder zeichnen könnte, kam dem Erfinder dabei noch gar nicht in den Sinn. Dafür umso mehr den Wissenschaftlern, die nach ihm den Elektronenstrahl in Zeilenbewegungen von oben nach über den Schirm wandern liessen, um mit dessen mal helleren, mal dunkleren Lichtpunkten jene groben Raster-Bilder zu malen, wie sie Nipkow ausgetüftelt hatte.

Speicherung nicht vorgesehen

Dabei ist es wichtig in Erinnerung zu behalten, dass das, was man auf dem Schirm einer solchen Röhre sieht, auf das träge Auge zwar wie ein Bild wirkt, in Wahrheit aber eigentlich nur ein rasender Lichtpunkt ist. Von daher auch der Eindruck des Flimmerns, der einst so charakteristisch für den Fernseher war, dass man ihn auch «Flimmerkiste» nannte. Wo auf dem Filmstreifen eines analogen 35mm-Films immerhin noch ganze Einzelbilder zu finden waren, zeigt das Fernsehen nur einen wandernden Lichtpunkt, dessen horizontale Linien in der Wahrnehmung des Publikums erst wieder zu kompletten Ansichten zusammengefügt werden muss. Sieht man sich eine 400fach verlangsamte Zeitlupenaufnahme eines Fernsehschirms an, wird man verblüfft erkennen, wie wenig auf ihm eigentlich zu sehen ist, nämlich wirklich nur ein einzelner Lichtstreifen. «Der Modus des Fernsehbildes hat nichts mehr mit Film oder Fotografie zu tun» kann darum Marshall McLuhan in «Understanding Media» schreiben. «Das Fernsehbild ist keine Einzelaufnahme. Es ist in keinerlei Hinsicht einem Foto vergleichbar, sondern es ist eine endlos sich formende Kontur der Dinge, von einem Tastfinger gemalt.» Das mag erklären, warum McLuhan das Fernsehen zu den «kühlen Medien« zählt, zu jenen also, die arm an Daten sind und darum eine umso grössere Mitarbeit von Seiten der Zuschauer_innen benötigen. Auf den kleinen Bildschirmen der Fünfzigerjahre, wie sie McLuhan noch vor Augen hat, mit ihrem grobkörnigen verrauschtem Schwarzweiss, ist tatsächlich nur mit einiger Anstrengung etwas zu erkennen. Doch auch mit bis heute stetig sich erhöhender Pixelzahl und Zeilengeschwindigkeit bleibt die Grundoperation dieselbe: So wie das Bild auf den Schirm geschrieben wird, so muss auch unser Auge diese Bewegungen mitabtasten und das Bild, Zeile für Zeile, Pixel für Pixel zusammensetzen. Wer in die Röhre schaut, ist eigentlich unentwegt am Puzzle spielen. So hält auch die Videotheoretikerin Yvonne Spielmann fest, dass von Bildern hier eigentlich nur noch unter massiven Vorbehalten zu sprechen ist. Denn während man sonst unter Bildern mehr oder weniger stabile Repräsentationen «von etwas» versteht, ist das, was der elektrische Apparat hervorbringt höchstens ein «Transformationsbild» – ein Bild, das niemals wirklich vorhanden ist, sondern nur als laufender Prozess existiert. Mit jedem Vorrücken des Elektronenstrahls auf den nächsten Platz, erlischt der vorhergehende. Die Ansicht löst sich im selben Tempo auf, wie sie aufgebaut wird.
Doch nicht nur, dass beim Fernsehen keine ganzen Bildern, sondern immer nur deren einzelne Pixel übertragen werden. Auch sonst kennt Fernsehen keine solide Basis: Denn als Medium, das mittels elektrischem Strom funktioniert, kennt das Videosignal ursprünglich keine Speicherung, sondern definiert sich durch Fliessbewegung. Das vergessen all jene, die beim Stichwort «Video» nur an Videokassetten denken. Tatsächlich entwickelten sich diese Speichermedien erst viel später, funktionierende Magnetaufzeichnungssysteme erst in den Fünfziger- und die VHS-Kassetten gar erst in den Siebzigerjahren. Davor war Fernsehen hingegen zwangsläufig immer nur als Live-Übertragung zu sehen. Fernsehspiele kamen nicht ab Band, sondern wurden für die Kamera in Echtzeit aufgeführt, wie im Theater. Wenn trotzdem Aufnahmen solch früher Fernsehspiele existieren, dann weil sie mit der Technik des Kinescope aufgenommen wurden, was konkret eigentlich nichts anderes bedeutete, als mit einer analogen Filmkamera einen Videomonitor abzufilmen. Schöner kann man Mediendifferenz wohl nicht zeigen: Fernsehen muss erst zu Film umgewandelt werden, um Bestand zu haben. Der fotografische Film speichert Bilder, um sie nachher vorzuführen. Die Zeit des Films ist immer schon vergangen. Das elektrische Videosignal hingegen existiert von Natur aus nur als Live-Sendung.
Diese beiden Grundeigenschaften von Video, nämlich die Auflösung von Bildern in einzelne Pixel und die Betonung der sofortigen Übertragung anstelle des retrospektiven Speicherns, sie setzen sich fort auch nach dem dem Ende des analogen Fernsehens. Mag der Elektronenstrahl der Braun’schen Röhre durch die Flüssigkristalle des Computerdisplays ersetzt, das elektrische Bild seit den Fünfzigerjahren immer besser speicherbar geworden sein, vom Magnetband über Videokassete, Laserdisc, DVD, BluRay bis zu Festplatte und DCP und sich die Pixeldichte laufend gesteigert haben von den 405 Bildlinien des frühen Fernsehens bis zu den 8,29 Millionen Pixel von Ultra HD – seinen Hang zum Fragmentierten und Instabilen hat Video nie abgestreift. Im Gegenteil hat sich das Prinzip der konstanten Transformation nur noch totalisiert, indem an die Stelle der analogen Elektrotechnik, die immerhin noch mit kontinuierlich fliessenden Signalen operierte, die Zerhackung des digitalen Binärcodes tritt.
So mag denn auch das digitale Kino von heute noch so sehr den Look von Film simulieren – eigentlich hat es mit Fernsehen mehr zu tun, als mit irgendetwas anderem. Und entsprechend lächerlich kann es einem vorkommen, wenn heutige Digitalproduktion mittels Filter versuchen, sich noch den Anschein von altem Kino zu geben. Ungleich interessanter ist da das Videokino von Michael Manns <Miami Vice> (2006) oder von David Finchers <Gone Girl> (2014), welche die Verfasstheit ihrer Elektrobilder gerade nicht kaschieren, sondern ausstellen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass beide Regisseure, die derart vehement mit der traditionellen Filmästhetik brechen, ihre Anfänge beim Fernsehen und im Musikvideo hatten. Wenn an einer zentralen Stelle in <Miami Vice> ausgerechnet das mit Kathodenstrahlröhre betriebene Radargerät auftritt oder am Ende von <Gone Girl>, das Kinobild unversehens vertauscht wird mit einem Fernsehbild, dessen Linien- und Pixelstrukur uns unangenehm auffällt, dann machen die beiden Regisseure uns damit nur klar, von wo ihre Filme eigentlich stammen. So wie die Geschichte von <Gone Girl> am Ende dort ankommt, wo sie schon am Anfang war, kommt im Fernsehbild der Schlussszene der ganze Film zu sich selbst und gibt sich zu erkennen als Video.
Genau dieselbe Erfahrung machen aber auch wir alle, wenn wir uns Filme nicht mehr ab physischen Bildträgern, sondern als Online-Stream anschauen und dann erleben, wie wegen Überlastung das vermeintliche Bild plötzlich ruckeln und zu stocken anfängt, schliesslicht zerfasert und auseinanderfällt in Glitches und digitale Artefakte. In solchen Störungen erkennen wir wieder, was wir sonst allzu gerne vergessen, dass es nur scheinbar Bilder, in Wahrheit aber elektrische Signale sind, die wir hier sehen – ein Medium, das weniger auf solide Darstellung ausgelegt sind, als vielmehr auf pure Transformation, andauernd störanfällig.

Töne sehen, Optik hören

Dass freilich in dieser Fragilität nicht ein zu überwindendender Nachteil, sondern vielmehr gerade das ureigene Potential dieses Mediums besteht, führen all die Künstler_innen, die mit Video experimentiert haben, eindrücklich vor.
Bereits Anfang der Fünfzigerjahre erprobt die amerikanische Filmemacherin Mary Ellen Bute in ihrem Film <Abstronic> das poetische Potential der Braun’schen Röhre, indem sie den Schirm eines Oszillographen abfilmt, auf dem sie die Schlieren des Elektronenlichtpunkt im Rhythmus von Aaron Coplands Balletmusik «Rodeo» tanzen lässt. Schon Coplands Ballet war eine verblüffende Mischung aus Avantgarde und Tradition gewesen, in dem der Komponist Cowboykultur mit zeitgenössischem Tanztheater verquickt und amerikanische Folksongs zur Grundlage moderner Klassik gemacht hatte. Mary Ellen Bute setzt diese Hybridisierung fort und noch einen drauf, wenn sie das Rodeo-Volksfest nun sogar in avancierte Elektrotechnik weiterübersetzt, dabei aber die Bahnen, die der Elektronenpunkt auf dem Bildschirm zieht, erstaunlich vertraut aussehen lässt: wie die Schlingen eines kreisenden Lasso. Und auch in seiner Machart ist <Abstronic> noch ein Hybrid aus Altem und Neuem: kombiniert wird die neuartige Optik der Röhre mit traditioneller Animationstechnik und das Elektrobild sehen wir nur als gefilmtes (wie beim Kinescope). So ist denn auch interessant, dass Mary Ellen Bute in einem Essay von 1954 vom Elektronenstrahl als einem «Pinsel» spricht, mit dem sich einfacher malen lasse, als vorher. In solcher Ausdrucksweise zeigt sich freilich, wie sehr sie das neue Medium noch als Fortsetzung des alten versteht. Die Kathodenstrahlröhre soll malen, was vorher der Pinsel gemalt hat. Dass indes ihr eigener Film bereits in eine andere Richtung weist und schon erahnen lässt, wie wenig die elektrischen Videobilder noch mit den Maltechniken der Vergangenheit zu tun haben werden, scheint Mary Ellen Bute selbst noch kaum bewusst. Einer Künstlerin wie Steina Vusulka dafür umso mehr. In ihren Videoperformances <Violin Power> zwischen 1970 und 1978 sehen wir sie, die ausgebildete Violinistin, wie sie Geige spielt, doch mit jedem Strich auf ihrem Instrument beginnt das Videobild zu zittern und zu wabern, je nach Frequenz des gespielten Tons. Es ist, als würde der Strich von Steinas Bogen nicht nur die Saiten des Instruments, sondern auch das Videobild selbst zum Vibrieren bringen. Die «Power» der Violine, die vom Musikinstrument auf das elektronische Gerät übergreift, ist auch als Stromspannung zu verstehen. Hatte Mary Ellen Bute noch mit Frequenzregler den Elektronenstrahl der Braun’schen Röhre so zu manipulieren versucht, das seine Bewegungen zu einem bereits existierenden Musikstück passen, so modifiziert bei Steina Vasulka die Musik das Bild gleich im Akt des Spielens selbst, indem sie das Instrument über einen Prozessor mit dem Videogerät koppelt. Mit der Geige spielt Steina zugleich auch Video. Doch nutzt sie damit nur aus, was das neue Medium mit seiner Technik ohnehin schon offeriert: Wer sagt denn, dass man an die Ablenkplatten, welche die Bildgebung des Videogeräts steuern, nur optische Signale anschliessen darf? Die Kathodenstrahlröhre kümmert es nicht, wie die Spannung zustande kam, mit der sie betrieben wird. Ob nun eine Kamera Lichtwerte oder ein Mikrofon Tonwellen in elektrische Spannung übersetzt: dem Stromfluss sieht man seinen Ursprung nicht an und wie er am anderen Ende der Leitung erscheint, hängt einzig ab vom Ausgabegerät. So wie Synthesizer aus elektrischen Signalen Klänge zu fabrizieren vermögen, kann Video aus Sounds Bilder machen. Der alte Traum einer visuellen Musik, wie sie Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts dem Komponisten Alexander Scriabin mit seinem «Lichtklavier» oder dem Experimentalfilmer Oskar Fischinger mit seinen <Studien> vorschwebte, ist mit dem Medium Video endgültig Realität geworden. Doch um den Preis freilich, dass die Begriffe Ton und Bild, Akustik und Optik für Video gar nicht mehr gelten. Strom ist Strom ist Strom. Dass er uns mal optisch, mal akustisch erscheint, ist nichts als eine Simulation.

Wenn wir im von Steina gemeinsam mit ihrem Mann Woody Vasulka gemachten Video <Noisefields> von 1974 zusehen, wie ein dunkler Kreis auf hellem Grund mit seinem Gegenstück (heller Kreis auf dunklem Grund) stroboskopisch abwechselt, mit Effekt und dazu der Ton blubbert und pfeift, dann sehen und hören wir eigentlich nichts anderes als schiere elektrische Spannung. So wie der Titel Geräusche und Felder zu einem Wort zusammenzieht, so lässt das Video Sichtbares und Hörbares zusammenfallen, entlarvt aber eigentlich beides nur wieder als blosse Täuschung. Denn weder hat das Künstlerpaar bereits existierende Kreise abgefilmt, noch irgendwo Geräusche aufgenommen, um sie uns dann per Video zu übermitteln, vielmehr ist beides, Bild und Ton, nur Produkt des elektrischen Mediums selbst. Mit den «Noisefields» des Titels sind am Ende weder optische fields noch akustische noises gemeint, sondern einfach Spannungszustände, Zonen elektrischen Rauschens.

Selbstreflexion

Die Arbeiten von Steina und ihrem Mann Woody Vasulka führen exemplarisch vor, was die Videotheoretikerin Yvonne Spielmann meint, wenn sie von Video als «selbstreflexivem Medium» spricht. Anders als Fotografie und Film, die noch von sich behaupten können, eine vorgefundene Realität zu repräsentieren, die sich in Form eines Lichtabdruck auf dem Filmmaterial einbrennt, spiegeln Videobilder vor allem sich selbst und ihre elektrotechnischen Prozesse.
Vollends wörtlich genommen wird diese Selbstreflexion im Prinzip der Rückkopplung, wie es immer wieder in Videoexperimenten wie jenen der Vasulkas zur Anwendung kommt. Richtet man nämlich die Videokamera auf ihren eigenen Monitor, dann staffeln sich die Aufnahmen zu einem unendlichen Tunnel. Was als Output auf dem Monitor erscheint, wird von der Videokamera wiederum als Input aufgenommen, um es auf dem Monitor als Output auszustrahlen, usw. Die Kamera sieht via Monitor sich selbst beim Sehen zu. Dabei führt die Zeit, die das Signal jeweils braucht, um von Input zu Output und wieder zurück zu Input zu wandern, zu einer leichten Verzögerung zwischen den Bildern, was auf dem Schirm zu fraktalähnlichen Mustern führt – zu Bildern also, die keinen anderen Ursprung mehr haben als die Rückkopplungsschleife des Signals selbst.
Solch konkrete Selbstbespiegelung kann wiederum eine Selbstreflexion auch im übertragenen Sinne anstossen: Die in sich kreisenden Videobilder stossen auch ein Nachdenken über das Wesen von Wahrnehmung an sich als einem Akt andauernder Rückkoppelung, der sich in seinem Verlauf unentwegt selber umbaut – eine Praxis, die sich bis zum zeitgenössischen Videoessay verfolgen lässt, wo es ebenfalls nicht darum geht, Bilder und Filme, die im Videoessay zitiert und analysiert werden, bloss zu erklären und auszudeuten, als vielmehr sie wieder in Fragen zu verwandeln. So fungiert im Videoessay das Bildzitat als Rückkoppelung, welches die zitierten Bilder nicht ein- sondern mehrdeutiger macht.
Wie weit man solche Rückkoppelungsverfahren treiben kann, führt bereits Richard Serras Video <Boomerang> von 1974 vor, in dem die Künstlerin Nancy Holt mittels Kopfhörer sich selbst beim Sprechen zuhört, jedoch immer mit zeitlicher Verzögerung, sodass sich alle Worte verdoppeln. Einen eindeutigen Gedanken zu fassen, wird für die Künstlerin damit immer schwieriger: «I have a double take on myself. I am once removed from myself […] I find, that I have troubles, making connections between thoughts» sagt sie im Echosound des Videos. Der Loop des Tons bricht mit den Gesetzen des linearen Denkens, das gewohnt ist, Schritt für Schritt von einer Idee zur nächsten geht. Mit seiner Verdoppelung gewinnt das Sprechens nicht an Autorität, sondern wird fragiler, tastender. Rückkoppelung steigert die Komplexität.

Entrivialisierung

Wie der Kybernetiker Heinz von Foerster in seinen Arbeiten zur Selbstorganisation von Systemen gezeigt hat, werden gerade durch Rückkoppelungen aus trivialen Maschinen nicht-triviale. Wenn eine triviale Maschine eine ist, die immer gleich funktioniert und bei der ein bestimmter Input unter Garantie immer dasselbe Resultat erzeugt, wie beispielsweise ein Lichtschalter, bei dem immer das Licht angeht, wenn ich ihn drücke, dann sind im Gegensatz dazu nicht-triviale Maschine solche, deren Funktionsweisen sich mittels Rückkoppelung laufend verändern, sodass derselbe Input zu immer neuen Resultaten führt. Genau das führen die Experimente von der auf den eigenen Monitor gerichteten Videokamera vor: die Rückkoppelung des Signals erzeugt unberechenbare Bilder.
So sind die Experimente mit Video denn nichts weniger als Versuche der Enttrivialisierung. Das ist umso brisanter, wenn man bedenkt, dass Fernsehen traditionell als Staatsmedium in der Hand derer ist, die über die Macht und das Geld verfügen. Als Kanal, um ihre Werbebotschaften und ideologischen Programm direkt in jeden Haushalt zu versenden, benutzen die Betreiber das Fernsehen als eine triviale Maschine, die bei allen Konsumenten möglichst gleichförmige und berechenbare Reaktionen hervorrufen soll. Umso subversiver ist es demgegenüber, dass Videokünstler genau diese angeblich triviale Maschine des Fernsehens nehmen, sie umzubauen und zu enttrivialisieren beginnen.
So legt beispielsweise der Videopionier Nam June Paik in seiner ersten grossen Ausstellung, die «Exposition of Music – Electronic Television» 1963 in Wuppertal starke Magnete auf laufende Fernsehgeräte, um damit deren Übertragung zu stören. Die Gallerie hatte eigens für diese Ausstellung andere Öffnungszeiten haben müssen, weil der damals einzige Fernsehsender der BRD nur jeweils Abends für ein paar Stunden Programm machte. Das staatliche Monopol an der nur in eine Richtung laufenden Sendemaschine wird durch Paiks ebenso simplen, wie radikalen Eingriff gebrochen und ihre Trivilialität mittels Magnet auf sich selbst zurückgeworfen und damit entrivilialisiert. Bemerkenswert daran aber ist, dass die Paiks Intervention zugleich nur vorführt, wie das Medium funktioniert: denn der Magnet auf dem Fernseher zeigt den Galleriebesuchern eigentlich nichts anderes, als was im Kasten drin ohnehin schon passiert. Auch angeblich korrekte Fernsehübertragung funktioniert ja mittels elektromagnetischer Ablenkplatten. Paik macht nichts anderes, als mit seinen Magneten den Elektronenstrahl noch zusätzlich auf Abwege zu bringen. Er koppelt gleichsam ein zweites Ablenksystem ans erste und generiert damit Bilder, wie sie von den Sendeanstalten nicht vorgesehen waren: Enttrivialisierung durch Rückkoppelung.
Und etwas Vergleichbares macht auch die Videokünstlerin Dara Birnbaum, wenn sie Fernsehsendung auseinandernimmt, neu zusammensetzt und danach wieder über den Fernseher abspielt. Für ihr Video <Technology/Transformation: Wonder Woman> (1978-79) entnimmt sie der Fernsehserie <Wonder Woman> allein die Spezialeffektaufnahmen, welche jeweils zeigen, wie sich die Protagonistin mit einem Knall zur Superheldin verwandelt und lässt diese Aufnahmen in Wiederholungsschleifen laufen. Die Loops aus Explosionen und Blitzen sind Transformationsbilder in mehrfachem Sinne: nicht nur, dass sie innerhalb der Serie die Funktion haben, den Wechsel von der einen zur anderen Persönlichkeit anzuzeigen, Birnbaum transformiert die Bilder ihreseits weiter. Indem sie die Minisequenzen aus jeder narrativen Logik herauslöst und sie stattdessen in sich kreisen lässt, macht sie sie zu Metaphern nicht nur dafür, welche Frauenbilder das kommerzielle Fernsehen entwirft, sondern auch dafür, wie sich solche Geschlechterbilder durch künstlerische Intervention dekonstruieren liessen. Birnbaum sendet ans kommerzielle Fernsehen dessen eigene Bilder zurück und fabriziert damit einen explosiven Kurzschluss. Und zugleich lassen sich die Lichtblitze auf dem Schirm auch als Verweise auf den Elektronenstrahl des Videosignals im Geräteinneren lesen und darauf, wie anders man diese Technologie brauchen könnte. Birnbaum sprengt das Medium mit dessen eigenen Mitteln. Aus dem Videosignal des offiziellen Fernsehens macht die Künstlerin ihre eigene alternative <Wonder Woman>-Serie. Es ist dabei von zusätzlicher Ironie, dass Birnbaum, um diese Arbeit Ende der Siebzigerjahre öffentlich zeigen zu können, nichts anderes blieb, als sie auf einem Fernsehgerät im Schaufenster eines Ladens zu zeigen. Die Strassenpassanten hielten denn auch das, was sie da flimmern sahen, zunächst für eine reguläre Episode von <Wonder Woman> und waren dafür umso irritierter, je länger sie zusahen.

Die Künstlerin Valie Export hatte einige Jahre zuvor gar geschafft, ihr Video <Facing a Family> tatsächlich im regulären Fernsehprogramm unterzubringen. In dem Video sieht man eine Familie beim Fernsehschauen und so wurde auch dieses Video durch seine Ausstrahlung im Februar 1971 zu einer verblüffenden Rückkoppelung: statt gewohntem Programm sahen österreichische Familien auf dem Fernsehen plötzlich sich selber beim Schauen zu. Dem Publikum werden die eigenen Sehgewohnheiten per Videorückkoppelung zurückgespielt, damit sein Blick ein bisschen weniger trivial werden möge.

Video als Bewegung

Mit den Mitteln von Video gegen das das Bildmonopol der Mächtigen und deren eingefahrene Sichtweisen anzutreten, wie dies Valie Export oder Dara Birnbaum tun, treibt denn auch die Videobewegung der Siebziger- und Achtzigerjahre an, der letztes Jahr im Schweizerischen Nationalmuseum die grosse Ausstellung «Rebel Video» gewidmet war. Wie dort klar wurde, war für die Aktivist_innen insbesondere wichtig, dass sie im Vergleich zum 16mm-Film mit Video Zugriff zu einer Technologie haben, die nicht nur billiger ist, sondern auch den Zwischenschritt der Filmentwicklung im Labor eliminiert. Die tragbaren Videokameras mit ihren mehrfach überspielbaren Bändern erlaubten es ihnen, nahezu ohne Geld und ohne Behinderung durch institutionelle Türwächter direkt per Video Agitation zu machen. Doch dass sich ausgerechnet um Video eine solche alternative politische Bewegung formiert, hängt nicht allein mit der vereinfachten Handhabung des neuen Mediums, sondern eben auch, wie der Blick auf seine Geschichte gezeigt haben dürfte, mit dessen technischer Verfasstheit zusammen. Als Medium, das seit seiner Entstehung auf Transformation anstelle von Stabilisierung ausgelegt ist, scheint es vielmehr prädestiniert als Mittel, um etablierte Vorstellungen zu hinterfragen. Video ist schon in seinen Grundfunktionen potentiell subversiv, indem es sämtliche vorgefertigten Bilder, die man ihm füttert, sogleich auseinandernimmt. Wenn im feministischen Protestvideo <Froue – jetzt langt’s> von 1979 verschiedene Klischees von Weiblichkeit gezeigt, gegeneinander gesetzt und damit demontiert werden, dann arbeitet das Videoformat mit seinen Störungen bei dieser Dekonstruktion mit. Tatsächlich muss einem auffallen, wie stark Video von Frauen bestimmt wird, von Künstlerinnen und Theoretikerinnen, und dies ganz im Unterschied zur bis heute von Männern dominierten Filmgeschichte. «Ce sexe qui n’est pas un» hatte die Philosophin Luce Irigaray zur selben Zeit die Weiblichkeit genannt und damit gegen all jene fixierenden Zuschreibungen protestiert, die dazu dienen sollen, das Weibliche zu kontrollieren und einzuhegen. Gegen derartige Vereindeutigungen wird die Transformationstechnik von Video gesetzt: von der «falsch» eingestellten Bildfrequenz in Joan Jonas bahnbrechenden <Vertical Roll> (1972), die dazu führt, dass das Bild ihres Körpers nie «korrekt» übertragen, sondern von vertikalen Synchronstörungen unterbrochen und skandiert wird, über die Körper-Demontagen bei Friederike Pezold, bis zu den die binäre Geschlechterordnung hinterfragenden Videoinstallationen des Schweizer Künstlerduos Pauline Boudry und Renate Lorenz, denen an der diesjährigen Jubiläumsausgabe von Videoex ein Schwerpunkt gewidmet ist.

Ich sehe, ich denke

Den herrschenden Verhältnissen stellt Video eine andere, eine alternative und sich laufend wandelnde Geschichte entgegen: eine andere Geschichte der Macht, eine andere Geschichte der Geschlechter, eine andere Geschichte des Sehens. Das geschieht manchmal aggressiv und explizit, manchmal subtil und still.
In <Austern>, einer der neuesten Videoarbeiten der Schweizer Künstlerin Judith Albert, sehen wir, wie ihre Hand ein Blatt ausrollt, auf dem die Oberfläche eines Tischtuchs aufgedruckt ist. Auf dieses Bild eines Tischtuchs, legt sie das Bild einer Schale mit Austern, legt das Bild einer Zitronenschale an den Tellerrand, und darauf wieder, auf einem kleinen Podest aus Papier, ein Teller mit einem Fisch, eine Schale mit Oliven. Und obwohl immerzu sehen, dass es sich bei jedem neuen Gegenstand in Wahrheit jedes mal bloss um ein Stück Papier handelt, auf dem die Gegenstände nur aufgedruckt sind, lässt sich unser Auge immer wieder täuschen, glaubt dreidimensionale Dinge zu sehen, wo eigentlich nur flache Bilder sind. So sehen wir zu, die Hände der Künstlerin ein Stilleben vor unseren Augen errichtet und dann, als alles hingelegt ist, wird sie doch nicht aufhören: mit einem Filzstift malt sie nun über all die verschiedenen Dinge, die eigentlich doch nur Bilder auf Papier sind und verblüfft erkennen wir, dass auch diese angeblichen Papierstücke eigentlich gar nicht wirklich da sind, sondern offenbar nur eine Projektion auf einem Videobildschirm, auf dessen Oberfläche die Künstlerin nun ihre Linien aufträgt. Sie bringt damit an die Oberfläche, was Technik hinter dem Schirm passiert: dass nämlich die Bilder, die auf den ersten Blick so sehr nach Stilleben-Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts aussehen, eigentlich etwas ganz anderes sind. Gar nicht fertige Bilder, sondern endlose Prozesse, wundersame Verwandlungen, die am Ende nicht einmal mehr mit Sichtbarkeit zu tun haben: «Video ist für mich das beste Medium, um zu denken» hat Judith Albert einmal im Gespräch mit Isabel Zürcher gesagt. Und wir, die wir Video schauen, denken dabei mit. Immer anders als vorher.

Literatur:
Heinz von Foerster: Wissen und Gewissen: Versuch einer Brücke. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993.
Heinz Nigg: Rebel Video. Zürich: Scheidegger & Spiess 2017.
SIK (Hg.): Kompendium der Bildstörungen beim analogen Video. Zürich: Scheidegger & Spiess 2013.
Yvonne Spielmann: Video. Das reflexive Medium. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005.

Beitragsbild: Screenshots aus <erst hell, dann leicht, dann himmelhoch> (1999) von Edith Flückiger