in: Frenzel Ganz, Y; Fäh, M.: Cinépassion reloaded. Eine psychoanalytische Filmrevue. Giessen: Psychosozial Verlag 2013, S. 121-128. ✺
… In The Last Temptation of Christ, jenem Film, den Martin Scorsese ursprünglich hatte an Stelle von After Hours machen wollen und erst später tatsächlich hatte drehen können, findet sich exakt dieselbe Kameraeinstellung, derselbe Moment. Nur ist es dort Christus höchstpersönlich, der seinen Vater anklagend befragt. Damit erscheint der Heiland nicht als jener selbstsichere Retter, wie ihn die Jesusfilme sonst gerne inszenieren, sondern als ein schon lange vor der Kreuzlegung Zweifelnder, ein zerrissener Hysteriker, rettungslos ausgeliefert einem mysteriösen und grausamen Gott, der selber nicht recht zu wissen scheint, was er denn eigentlich will.
In After Hours findet sich all das präfiguriert. Doch an der Stelle Gottes stehen hier die Nebenmenschen, lauter Personen, wie man sie des Abends auf der Strasse und in den Lokalen treffen kann. Das macht die Sache nicht einfacher. Im Gegenteil. Denn wo sich für Scorseses Christus das Rätsel des fremden Begehrens in jenem einen Gott des christlichen Monotheismus bündelt, da diffundiert im sekulären New York von After Hours die Hysterie auf alles und jeden. Gott ist tot und damit hat auch die Hysterie ihren Fixpunkt verloren. Nicht nur, dass sämtliche Figuren, denen Paul begegnet, etwas Ominöses im Schilde zu führen scheinen, sogar die Objekte haben sich gegen ihn verschworen. Wenn ihm Marcys Mitbewohnerin die Hausschlüssel aus dem Fenster runter wirft, damit er sich selber einlassen kann, dann zeigt die Kamera das fliegende Schlüsselbund als Geschoss, das einen zu erschlagen droht. Der Schlüssel zur Kasse der Bar geht genau dann nicht, wenn man Geld bräuchte, das Klo in der fremden Wohnung läuft über, wenn man spült. An der aufschwingende Autotür verletzt man sich unweigerlich, ein klebengebliebener Fetzen Pappmachée reizt die Haut und lässt sich nicht mehr ablösen, um das Bett einer Frau liegen lauter Mausefallen, bereit, sofort zu zuschnappen, wenn man sich nähert. Und dann sind da noch all die Telefone, welche immer zu schrill klingeln und die Uhren, die alle zu laut ticken: ›Che vuoi?‹ – Was wollen all die Gegenstände von mir? …