Den Kanal wechseln: Zu Personal Shopper

Filmbulletin N°4 (2017), S. 44-45 ///

Selbst die beste Technik ist vor gespenstischen Mucken nicht gefeit. Im Gegenteil. Das Übersinnliche sucht sich zu seiner Übertragung zielsicher immer die neuesten Kanäle. So heisst es in Annette von Drüste-Hülshoffs Gedicht „Doppeltgänger“ über die beängstigende Erscheinungen im nächtlichen Zimmer:

„…es begann zu schwimmen
Wie Bilder von Daguerre die Deck’ entlang
Es wisperte wie jugendliche Stimmen,
Wie halbvergessner, ungewisser Klang“

Alpträume sind im Zeitalter entstehender Fototechnik auch nicht mehr, was sie einst waren: der Droste und ihren Zeitgenossen erscheinen um 1840 die alten Gespenster wie frisch erfundene Daguerrotopien. Und umgekehrt wird man die Fotografie alsbald dazu benutzen, bei Séancen den Auftritt fremder Mächte aufzuzeichnen – Okkulte Strahlen und hervortretendes Ektoplasma werden sichtbar erst, indem man sie auf Platte bannt. Die neuen Medien garantieren so den Siegeszug des Übernatürlichen. Das wird am Ende des 19. Jahrhunderts Bram Stokers „Dracula“ wie kein anderer Text vorführen. Hier gehen nicht nur die Vampire um, sondern mit ihnen auch die Übertragungstechniken: Tagebuch und Phonograph, Telegramm und Zeitungsausschnipsel – all das treibt in Stokers Roman sein Unwesen. Dass Friedrich Wilhelm Murnau mit seinem Film „Nosferatu“ ein Vierteljahrhundert später diesen vampirischen Medien-Reigen noch um die Kinematographie erweitern wird, erscheint somit nur als logische und bereits in Stokers Buch angelegte Fortsetzung. Die Autoren-Witwe war da allerdings anderer Meinung und versuchte Murnaus Film wegen Urheberrechtsverletzung vernichten zu lassen. Den über „Twilight“ und „True Blood“ bis heute anhaltenden Siegeszug der Vampire in Film und Fernsehen hat sie damit gleichwohl nicht aufhalten können. Dass Dracula sich aus den neuen Medien nicht wird aussperren lassen, hätte sie eigentlich schon nach der Roman-Lektüre wissen müssen.
Avancierte Technik taugt nicht zur Austreibung des Unheimlichen, sondern sorgt vielmehr im Gegenteil für dessen nur noch schnellere Verbreitung. Drum ruft auch in H. P. Lovecraft Erzählung „The Thing on the Doorstep“ das Monster per Telefon seine Opfer an. In Steven Spielbergs „Poltergeist“ kommt das Böse aus dem Fernseher und in Oren Pelis „Insidious“ immerhin übers Babyfon.
In Olivier Assayas „Personal Shopper“ schliesslich benutzen die die Gespenster WhatsApp und SMS. Das ist sehr viel unheimlicher als es sich anhört. Bei Maureen Cartwright, die als Assistentin einer Berühmtheit deren Einkäufe erledigt, trudeln Nachrichten mit unbekanntem Absender ein. „R U alive or dead?“ tippt sie in zeitgenössischem Texting-Telegrammstil fragend zurück und schaltet ihr Gerät dann sogleich in den Flugmodus, weil sie die Antwort fürchtet. Es muss ihr toter Bruder Lewis sein, der ihre geheime Nummer kennt, so ist sich Maureen sicher und sollte damit aber eigentlich auch wissen, dass gegen derartige Meldungen kein Flugmodus schützt. Das geblockte Gespenst schaltet ganz einfach auf den nächsten Kanal.
Dabei ist es gewiss kein Zufall, dass die geplagte Maureen von niemand anderem als Kristen Stewart gespielt wird, bei deren Anblick wir immer noch an die Vampir-Saga „Twilight“ denken müssen, mit der sie berühmt geworden war. Und auf ihrem iPhone empfängt sie nicht nur Nachrichten aus dem Jenseits sondern schaut sich darauf auch Dokfilme an über Geisterbilder von Daguerre und spiritistische Fotografen. Bedenken wir auch, dass Maureen und ihr Bruder Zwillinge waren, womit man endgültig wieder bei Droste-Hülshoff und ihren fotografischen „Doppeltgängern“ angekommen wäre. In „Personal Shopper“ spukt es nicht nur auf allen Kanälen, sondern dabei auch im vollen Wissen um deren lange Tradition als Gespenstermedien.
Die vielleicht prägnanteste unheimliche Erscheinung in Assayas Film tut sich indes über ein Medium kund, das uns so alltäglich ist, dass wir es schon gar nicht mal als Medium erkennen: die Wasserleitung. Allein im dunklen Haus des toten Bruders hört Maureen es eines Nachts plötzlich plätschern. In der Küche steht der Wasserhahn offen. Doch als sie ihn zudreht, hört man es aus dem ersten Stock in die Badewanne strudeln. „Ich brauche mehr von Dir“ sagt die Schwester zu jenem unsichtbaren Geist, der da am Hand gedreht haben muss. Dabei ist eine offene Leitung doch eigentlich schon ziemlich viel. Zu viel. Als unproblematisch erscheinen sanitäre Installationen denn auch nur denjenigen, die nicht lange genug über deren Implikationen nachgedacht haben. Wenn man es hingegen genau betrachtet, dann sind die hinter Verputz sich versteckenden, dann aber über Löcher in der Wand hervortretenden Leitungen doch eigentlich Erscheinungen des Unheimlichen par excellence. Nicht zuletzt deswegen, weil sie die saubere Trennung zwischen hier und dort laufend durcheinander bringen. Durch den Wasserhahn ergiesst sich das Aussen ins Innere und durch den Abfluss strömt das Innere nach Aussen. „Unheimlich ist irgendwie eine Art von heimlich“ heisst es bei Freud. So wie bei Annette von Dros-Hülshoff alles zu schwimmen beginnt, macht auch hier Angst, wenn die Gegensätze zusammenfliessen. Jede mit sanitärer Standardeinrichtung versehene Wohnung erweist sich damit bereits als unheimliches topologisches Gebilde vom Stile einer Klein’schen Flasche, deren irritierende Eigenschaft es ist, dass, wenn man Wasser aus dieser Flasche ausgiesst, man damit nur wieder Wasser in sie hineinfliessen lässt. So bringen die kommunizierenden Röhren der Wasserleitung widersprüchliche Zustände und Orte in Kontakt: festes Rohr und flüssiger Strahl, Fülle und Leere, Intimität und Aussenwelt. Wahrscheinlich gehört darum der tropfende Wasserhahn zu Standardrepertoire des Angstkinos: weil hier stetig etwas einfliesst, was hätte verdrängt bleiben müssen. Man schaue sich dazu nur etwa die Wasserhähne in Dario Argentos „Profondo Rosso“ an, in dem sich Körperflüssigkeiten plötzlich als Leitungswasser und Badewannen als Mordwerkzeuge entpuppen. Ziemlich sicher hat Assayas sich auch davon inspirieren lassen – so wie sein ganzer Film eine Hommage an Argento darstellt. Doch braucht man solche Vorbilder gar nicht zu kennen, um sich von der Angst anstecken zu lassen, die in „Personal Shopper“ aus der Leitung dringt. Der Wasserhahn, so wird einem wieder bewusst, zählt zu jenen Schwellen, von deren Regulierung unser ganzes Sicherheitsgefühl abhängt. Fenster und Türen müssen sich schliessen lassen, wenn Gefahr droht. Dass jedoch auch bei verriegelter Haustür die tropfende Wasserleitung immer noch offen steht, ist darum umso unangenehmer.
Über die für uns so lebenswichtige Regulierung von Schwellen schreibt Vilém Flusser: „Raumgestalter sind dazu da, den Verkehr zwischen privat und öffentlich zu regeln. Zu diesem Zweck eben entwerfen sie Mauern, Fenster und Türen, und Strassen, Plätze und Tore.“ Um dann aber alsbald anzufügen: „Die Trennung zwischen privat und publik wird immer weniger sinnvoll, wenn die sogenannten Politiker durch Kabel hindurch in die Küche uneingeladen auftauchen können. Das zwingt die künftigen Raumgestalter […] nicht mehr über Dinge wie Mauern, Fenster und Türen, und auch nicht über Strassen, Plätze und Tore, sondern eher über Dinge wie Kabel, Netze und Information nachzudenken.“ Man muss indes gar nicht erst bis zu den Mitteln der Telekommunikation gehen, bis zu den Kabeln und Netzen, um zu begreifen, wie im scheinbar intimen Raum, plötzlich uneingeladene Gespenster auftauchen können. Vor Fotografie, Film, Telefon, TV und Mobilfunk sind die Geister schon in anderen Kanälen geschwommen. Durch jeden Wasserhahn kommt bereits eine Bedrohung und am Abfluss des Waschbeckens steht jedes Heim dem Unheimlichen offen.