… Ein Versehen des Concierge genügt und schon sind ganze soziale Ordnungen auf den Kopf gestellt. Das macht das Hotel auch zum Ort einer wirklich gewordenen Utopie, an dem die herrschenden Regeln der Gesellschaft, zumindest für eine Zeit lang, ausser Kraft gesetzt werden können. So wie der Fahrstuhl durch die verschiedenen Etagen gleitet, bestimmt ein simpler Knopfdruck über Auf- oder Abstieg. Alles ist möglich. Aber das heisst auch: Nichts gilt mehr.
Siegfried Kracauer hat in seinem Essay zur „Hotelhalle“ diese als Gegenentwurf zum Gotteshaus gelesen. Während die in der Kirche versammelten Menschen sich auf den einen Gott ausrichten und damit zur Gemeinde werden, befinde man sich in der Hotelhalle „vis à vis de rien“: „Statt auf das Gottesverhältnis gründet sich in der Hotelhalle die Gleichheit auf das Verhältnis zum Nichts.“
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erschienen in: Neue Zürcher Zeitung, 12.2.2016, S. 43